Neutrale Staaten sind nicht zwangsweise pazifistisch. Eine Analyse von Historiker Pascal Lottaz.
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8000 Schweizer Soldaten bekämpfen ab sofort das Coronavirus. - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Historiker Pascal Lottaz schreibt die Kolumne «Die Schweiz, ihre Neutralität und die Welt»
  • In diesem Artikel geht es um die Neutralität und den Pazifismus

Die Schweizer Armee ist gross—relativ gesehen. Nimmt man die offiziellen Zahlen des Bundes zu unserer ständigen Wohnbevölkerung und dem Total der Effektivbestände der Armee, so kommt man auf knapp 2 Soldaten (Aktiv und Reserve) pro 100 Leute in der Bevölkerung. Damit rangiert die Schweiz im pro Kopf Vergleich im obersten Viertel der weltweiten Armeegrössen und einiges über den zwei mächtigsten Militärs der Welt; China, wo 0.2% der Bevölkerung in der Armee dienen (was aber über 2.6 Millionen Soldaten entspricht), und den USA mit 0.5% Armeepersonal (total 1.3 Millionen Soldaten).

Natürlich spielt gerade bei militärischer Macht nicht die relative Grösse einer Armee, sondern nur ihre absolute Schlagkraft eine Rolle. Aber sogar in umfassenderen Militärvergleichen, die auch qualitative Elemente berücksichtigen, kommt die Schweiz auf die oberen Plätze—Rang 33 zum Beispiel im Globalen «Fire Power» Ranking. Die Schweiz, das ist klar, ist stark bewaffnet. Das überrascht immer wieder im Ausland, wo die Helvetische Neutralität häufig als Pazifismus missverstanden wird.

Dass die Schweiz ihre Neutralität aber alles andere als pazifistisch betrachtet, zeigen nicht nur die Generalmobilmachungen während den beiden Weltkriegen in denen hunderttausende Männer zu den Waffen berufen wurden (und tausende von Frauen in Frauenhilfsdienste eintraten), sondern auch das Abstimmungsverhalten der Bevölkerung, in der pazifistische Anliegen nur selten Gehör finden.

Von den zehn militärrelevanten Abstimmungen seit der 1989 lancierten Initiative für die komplette Abschaffung der Armee (verworfen mit 64.4%) fiel nur eine einzige gegen die expliziten Wünsche des Verteidigungsdepartementes (VBS) aus; und zwar das Nein (73.2%) zu einem Kredit für die Beschaffung neuer Gripen-Kampfflugzeuge von 2014. Alle anderen Vorlagen lassen bisher keinen Zweifel daran, dass eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer die Armee stützt. Auffallend ist, dass die Initiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» von 2013 noch wuchtiger abgelehnt wurde (73.2% nein Stimmen) als die Armeeabschaffungsinitiative 24 Jahr zuvor.

Argumente über die Neutralität der Schweiz und was diese militärisch abverlangt, sind bei diesen Debatten immer wieder zentral. So analysierte nicht nur der Bundesrat 2013 seine Stellung zur genannten Initiative im Licht der Neutralitätsverpflichtungen gemäss dem Völkerrecht, sondern auch öffentlich wurde das Schweizer Milizsystem im Zusammenhang mit der Landesneutralität debattiert.

Eine völkerrechtliche Pflicht zu einer Milizarmee, das hält auch der Bundesrat fest, gibt es für neutrale Staaten jedoch nicht. Noch nicht einmal die Notwendigkeit einer Armee zur Wahrung der Neutralität ist sicher; der Vatikan und Costa Rica sind Beispiele für Neutrale Staaten, die seit über 70 Jahren auch ohne Armee wunderbar bestehen konnten (wobei der Papst natürlich seine private Schutztruppe, die Schweizergarde, beschäftigt). Sogar unser direkter Nachbar, Lichtenstein, besitzt keine eigene Armee und ist trotzdem erfolgreich neutral. Das hat seit 1868 auch gut funktioniert, abgesehen von ein paar Mal, in denen die Schweizerarmee aus Versehen ins Ländle einmarschiert ist—was dann vielleicht doch wieder für eine eigene Liechtensteinische Armee sprechen würde. Andererseits hat sich Bern jedes Mal sofort zurückgezogen und anständig bei Vaduz entschuldigt; Sorry für die Invasionen.

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