Unser Kolumnist ist schockiert, dass BR Parmelin sich mitten in der Pandemie für eine Kampagne der Skigebiete hergibt, anstatt die Bevölkerung zu schützen.
Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi schreibt über die Corona-Politik des Bundesrates.
  • El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

Zuerst dachte ich, es sei ein Witz. Die krasseste Massnahme des Bundesrates angesichts von rund 100 Corona-Toten täglich (wir haben jetzt die 5000er-Marke überschritten) ist ein lapidares «Weihnachtssingen ist nicht erlaubt» und eine schlaffe Ermahnung an die Kantone. Eine explizitere Vorstellung von Inkompetenz und Verweigerung kann man gar nicht bieten.

Zuerst ging ich davon aus, dass sich der Bundesrat einfach aus Unfähigkeit und Führungsschwäche um die Verantwortung für die Bevölkerung drückt. Das ist aber nicht so. Der Bundesrat, oder einzelne Mitglieder, setzen absichtlich das Leben der Schwächsten und Gefährdeten aufs Spiel. Vorsätzlich. Mir wurde in diesem Zusammenhang eine kleine Information zugespielt, die mich wirklich schockierte. Es findet in der Schweiz ein harter Kampf um Geld oder Leben statt.

Schirmherrschaft für die todbringende Kampagne - Screenshot furrerhugi.ch

Zuvorderst an der Front die Lobbysöldner der Agentur FurrerHugi, die immer an der Spitze mitmischen, wenn die Wirtschaftsverbände Menschenleben gegen Geld abwägen (sie waren schon gegen die KoVI führend). Diese Agentur hat nun eine Kampagne lanciert, die mitten in der Pandemie fürs Skifahren werben soll. Also nicht nur «Wer wirklich nicht darauf verzichten kann, soll halt fahren», sondern «Fahren Sie unbedingt in ein Skigebiet und stecken Sie sich und Ihre Lieben an!»

Das wäre ja nicht überraschend. Aber dass der Schirmherr der Kampagne ein Bundesrat ist, also ein Mitglied des Gremiums, das für den Schutz der Bevölkerung und die Eindämmung der Pandemie verantwortlich ist, hat bei mir das grosse Kotzen ausgelöst. Bundesrat Parmelin, der der Bevölkerung offenbar die Fahrt mit der Leichenbergbahn auf den Grabhügel empfiehlt und sie von da aus auf die Todespiste schickt.

Wie soll man einem Bundesrat vertrauen, der die Drecksarbeit der Lobbys macht, anstatt sich für das Leben unserer MitbürgerInnen einzusetzen? Ich weiss nicht mal, ob das noch legal ist. Aber da wir in der Schweiz kaum greifende Lobbygesetze haben, und die BundesrätInnen offenbar für einen Apfel und ein Weggli zu bekommen sind, wundert mich das dann auch nicht mehr so.

Und dann dieser andere Bundesrat, der Menschenleben in Batzeli umrechnet. Wie soll man einem Bundesrat trauen, der von «Güterabwägung» spricht und dabei eine Waage zwischen Leben und Geld aufstellt? «Güterabwägung» ist da einfach ein Euphemismus für «gewisse Menschen sind unwertes Leben, zu teuer, um geschützt zu werden». Dass der Finanzminister der Schweiz, einem der reichsten Länder der Welt, behauptet, wir könnten uns schärfere Massnahmen nicht leisten, und dafür hundert Tote am Tag in Kauf nimmt, sagt einiges über den Zustand unserer ethischen Werte aus.

Regierungsverantwortung scheint heutzutage zu bedeuten, dass man Schwächere und Gefährdete für das Wohl einer Lobby elend ersticken lässt. Dass diese zynische «Güterabwägung» am Schluss auch der Wirtschaft schadet, dürfte evident sein.

Zum Schluss kommen dann die Corona-Zyniker auch noch mit dem Blabla vom «Mittelweg» der Schweiz. Wir haben keinen Mittelweg. Wer einen Mittelweg zwischen dem Leben von Menschen und der Lust nach Skiplausch sucht, ist eines Regierungsamtes nicht würdig.

Ich kann die billige Entschuldigung, es sei «Sache der Kantone» nicht mehr hören. Sache der Kantone, die sich gerade wie Kinder verhalten, die in Abwesenheit der Eltern so viele Süssigkeiten reinstopfen, dass sie nachher die ganze Wohnung vollkotzen, bzw. das Virus in der ganzen Schweiz verteilen. Es hilft auch nicht, wenn diese Kantone jetzt etwas sinkende Zahlen haben. Denn die Skipisten, Gondeln und Lifte werden nicht von Bündnern, Wallisern etc. überflutet, sondern von Leuten aus der ganzen Schweiz (aus dem Ausland reist ja niemand mehr an, seit die Schweiz als 3-Welt-Katastrophenland gilt). Dass die Skisaison «Sache der Kantone» sei, ist also zynischer Bullshit und kostet weitere Menschenleben. Wenn die Leute nicht UMS VERRECKEN Skifahren wollten, wären hunderte ältere Menschen vielleicht noch da, um Weihnachten 2021 zu feiern. Oder Ostern. Oder ihren nächsten Geburtstag.

Natürlich weiss ich, dass die Skigebiete vor einer schwierigen Zeit stehen, genauso die Gastronomie und die Kultur. Nur sind es eben die gleichen Typen, die gerade die Schweiz zum Corona-Friedhof machen, die im Parlament auch gegen (Miet-)Unterstützung für KMUs und Selbstständige entschieden haben.

Und machen Sie sich nichts vor, es ist noch lange nicht vorbei. Und es wird erst noch schlimmer, bevor es besser wird. Wenn wir mit den stagnierenden Neuansteckungen und den gleichbleibenden Opferzahlen in die Weihnachtsferien gehen, werden die Friedhöfe im Januar die einzigen Orte, an denen sich noch Menschen versammeln werden.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 51-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

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