Nau-Kolumnist Sam Urech hat ein Problem mit der Evolutionstheorie. Beziehungsweise mehrere: Sie kränkt ihn und er versteht sie nicht. Doch der Reihe nach.
ehe für alle Kyriacou
Andreas Kyriacou, Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (FVS). - Evelin Frerk

Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Sam Urech wetterte gegen die Evolution.
  • Andreas Kyriacou zeigt auf, dass bestimmt kein intelligenter Designer am Werk war.
  • Andreas Kyriacou ist Präsident der Freidenker-Vereinigung der Schweiz (frei-denken.ch).
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In seiner Nau-Kolumne vom 19. März betont der evangelikale Nau.ch-Kolumnist Sam Urech, dass er die Evolutionslehre innig ablehnt.

Er begründet dies zunächst einmal damit, dass Darwin nicht beweisen konnte, wie das Leben entstand. Das stimmt, ist aber natürlich kein Argument dagegen, dass unsere Artenvielfalt durch evolutionäre Prozesse entstand. Zudem ist die Entstehung des Lebens nicht einmal ein Teil dessen, was die Evolutionstheorie zu beschreiben versucht.

Die Evolutionstheorie beschäftigt nur am Rande mit der Entstehung des Lebens

Natürlich: Die Frage, wie das erste Leben entstand, gehört zur übergeordneten Frage «woher kommen wir?». Aber hier geht es eben spezifisch darum, wie die ersten Lebensformen aus anorganischen und organischen Stoffen entstanden. Abiogenese nennt man diesen Prozess. Die Forschung zum Thema hat tatsächlich noch keine solide Antwort zu bieten.

Die von Sam Urech erwähnte Panspermie-Hypothese, also der Vorstellung, dass Moleküle, aus denen sich auf der Er Leben formen konnte, aus dem All auf unseren Planeten geschleudert wurden, ist eine der spekulativeren.

Sam Urech
Sam Urech besucht die Freikirche FEG Wetzikon. - Fotograf: Sebastian Heeb

Und sie ist insofern unbefriedigend, weil sie die Frage offenlässt, wie denn diese Moleküle anderswo entstanden.

Gott als Lückenbüsser

Aber seien wir ehrlich: Einfach jedes Mal «Gott war’s!» zu rufen, wenn die Wissenschaften auf eine Frage noch keine rundum stimmige Antwort liefern können, ist doch langweilig – und selbst höchst unbefriedigend.

Und was gläubigen Personen eigentlich noch mehr Bauchschmerzen bereiten müsste: Der Zuständigkeitsbereich für Gott wird so immer kleiner, denn die wissenschaftlichen Erkenntnisse nehmen tagtäglich zu. Gott hat als Erklärungsmuster also in immer mehr Bereichen ausgedient.

Der Wunschtraum von der gottgegebenen Rolle

Sam Urech lehnt die Evolutionstheorie aber noch aus einem ganz anderen Grund ab: Die Vorstellung, nicht ein von Gott erschaffenes Wesen zu sein, sondern letztlich ein Produkt des Zufalls, kränkt ihn. Das ist durchaus nachvollziehbar.

Denn die Idee, dass das ganze Universum eigentlich nur erschaffen wurde, um uns Menschen ein Zuhause zu bieten, ist natürlich schmeichelhaft, ebenso die Vorstellung, dass wir im Tierreich eine besondere Stellung einnehmen.

Der Mensch ist biologisch nichts Besonderes

Doch wenn wir genauer hinschauen, merken wir: Wir sind biologisch gesehen nichts Besonderes. Unser Körper ist in seinen Grundzügen nicht nur gleich aufgebaut wie der anderer Wirbeltiere, die Gemeinsamkeiten mit anderen Lebewesen reichen bis ins Insektenreich.

Biene
Wildbienen zur Bestäubung des Gartens. - Pixabay

Die Gene, die in der allerfrühestens embryonalen Phase den Körperbau bestimmen, sind beim Menschen und bei Insekten so ähnlich, dass sich eine (über eine halbe Milliarde Jahre alte) gemeinsame Vorgeschichte herauslesen lässt.

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Diese sogenannten Hox-Gene bestimmen bei Insekten, an welcher Körperstelle Antennen, Flügel oder Beine entstehen, bei Wirbeltieren – also auch bei uns Menschen – steuern sie im Embryo die Ausgestaltung von Wirbeln und Rippen.

Intelligentes Design? Von wegen!

Dass kein intelligenter Designer im Spiel war, sieht man aber nicht nur daran, dass wir Gene mit Insekten teilen. Jede/r, die oder der schon mal aufs Steissbein gefallen ist, dürfte beim Aufprall die eigene evolutionäre Vergangenheit verflucht haben.

Dieses Rudiment der einstigen Schwanzwirbel erfüllt bei uns schwanzlosen Primaten keinen Zweck, bleibt uns aber als Quelle aller möglichen Beschwerden erhalten – weil wir eben Jahrmillionen evolutionäre Vergangenheit mit uns schleppen.

Die Wege des Kehlkopfnervs sind verschlungen, aber ergründlich

Doch es gibt noch weitaus bemerkenswertere «Designfehler» in der Na. Ein eindrückliches Beispiel ist der rückläufige Kehlkopfnerv. Er kommt gleich im Doppelpack daher, einmal links- und einmal rechtsseitig und bildet die Verbindung zwischen Gehirn und Kehlkopfmuskeln, Speise- und Luftröhre.

Mit ihm wird die motorische Steuerung dieser Organe und die sensorische Rückmeldung von Reizen ans Gehirn sichergestellt. Ohne dieses Nervenpaar wären wir ziemlich aufgeschmissen, es ist also gut, dass wir es haben.

Auch diese Nerven haben eine lange evolutionäre Geschichte hinter sich: Sie kommen bereits in Fischen vor. Bei Fischen führt der Nerv jeweils direkt vom Hirn zu den Kiemen, aus denen sich bei Amphibien und Säugern unter anderem der Kehlkopf entwickelte. Bei uns macht der Nerv jedoch einen Umweg über den Brustkorb. Wieso das?

Fische
Fische in einem See. (Symbolbild) - Keystone

Dieser seltsame «Bauplan» ist – Ihr ahnt es sicher – eine Folge der Evolution. Unser Herz entsteht zu Beginn der embryonalen Entwicklung nahe am Kopf, so wie dies bei Fischen der Fall ist. Doch anders als bei den halslosen Fischen wandert das Herz bei Säugern nach und nach in den Brustkorb.

Der rückläufige Kehlkopfnerv wird links wie rechts von Blutgefässen wie eine Schlinge mit in die Tiefe gezogen. Er dehnt sich also umso mehr aus, je mehr sich der Abstand von Kopf und Herz vergrössert. Das passiert bei allen Säugern, von der Maus bis zur Giraffe. Bei letzterer wird das schlechte (vermeintliche) Design besonders augenscheinlich: Bei ihr beträgt der Umweg um die fünf Meter, obwohl bei ihr Hirn und Kehlkopf nur etwa fünf Zentimeter voneinander liegen.

Machen wir uns nicht selbst zum Affen

Designer haben’s gut. Sie können zurück zum Reissbrett (bzw. dem CAD-Programm), wenn sie merken, dass sich eine Idee nicht bewährt und sie können vorausschauen und erahnen, ob eine Idee überhaupt zukunftstauglich ist.

Evolution hingegen findet graduell und ohne Vorausschau statt. Und so schleppen wir halt uralte «Designfehler» mit uns rum. Aber wir können mit unserer Rolle dennoch ganz zufrieden sein. Immerhin hat uns die Evolution mit einem Gehirn ausgestattet, das uns befähigt, unsere evolutionäre Herkunft zu erkennen.

Ja, wir sind Trockennasenaffen. Aber so richtig zum Affen machen wir uns nur, wenn wir uns durch unsere Vergangenheit kränken lassen und aus Unwissen Unsinn erzählen.

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