Jean-Daniel Strub von männer.ch stellt sich im Gastbeitrag gegen die Auffassung, dass Hass ein Trieb ist. Er schildert, wie Hass entgegengewirkt werden kann.
Jean-Daniel Strub
Für Jean-Daniel Strub, Präsident von männer.ch, ist Hass weder ein Trieb noch unvermeidlich. - männer.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Hass sei ein menschlicher «Trieb» und unvermeidlich, so Roger Köppel.
  • Jean-Daniel Strub, Präsident von männer.ch, widerspricht im Gastbeitrag vehement.
  • Er erklärt, was Hass für ihn bedeutet und warum Köppels Ansicht gefährlich sein kann.

Sebastian Kurz ist nicht mehr Österreichs Kanzler. Und bleibt doch an der Macht. Was auch bleibt, ist ein immer klareres Bild des Systems, das Politiker wie Kurz trägt. Ein ausgesprochen männliches System mit allen Ingredienzen dessen, was die Politikwissenschafterin Natascha Strobl praktisch zeitgleich mit Kurz’ Abstieg als den «radikalisierten Konservatismus» der neuen Rechten aufarbeitete.

Schwächere werden gezielt verunglimpft

Zu den Strategien der radikalisierten Konservativen gehört es, bewusst Ressentiments (gerade auch anti-feministische!) zu bedienen, eigene Narrative zu erschaffen, wo bisherige nicht ins Bild passen, klare Verhältnisse von Starken und Schwachen zu propagieren – und Schwächere immer wieder gezielt zu verunglimpfen.

roger köppel
«Weltwoche»-Chefredaktor Roger Köppel ist der Meinung, dass Hass gefördert werden muss. - Keystone

Sattsam bekannter Teil dieser Strategie ist es, die Grenzen des Anstands und damit des Sagbaren zu verschieben und empörte Aufmerksamkeit zu generieren. Diese Strategie ins Leere laufen zu lassen, scheint oft eine geeignete Antwort. Doch bräuchte es nicht öfter als bisher eine entschiedene Gegenreaktion – gerade auch von Männern?

So etwa, wenn der Chefredaktor der Weltwoche zentrale Grundpfeiler von Zivilisation und Gemeinschaft angreift, indem er schreibt: «Wir sollten die Leute ermutigen, ihren Hass auf den sozialen Medien auszuleben. Das ist besser, als wenn sie zum Küchenmesser greifen oder sich eine Pistole oder ein automatisches Gewehr kaufen».

Hass ist nichts Unvermeidbares

Hass, so Roger Köppel, gehöre gefördert statt geächtet. Denn Hass sei nun mal unvermeidlich, ein menschlicher «Trieb» gar. Dieser verlange nach Abfuhr, damit er nicht in Gewalt umschlägt.

Das ist grober Unfug – und vor allem verkennt es, dass Online-Hass sich gezielt gegen andere richtet und dabei keineswegs alle gleichermassen, sondern überdurchschnittlich oft Frauen und Jugendliche trifft, wogegen sich etwa das Projekt «Stop Hate Speech» von Alliance F zur Wehr setzt. Und dass er rein gar nichts «abführt», sondern eine Radikalisierung befördert, die nur allzu oft in reale Gewaltakte überspringt.

Alliance F
Das Projekt «Stop Hate Speech» von Alliance F will gegen Anfeindungen und Diskriminierung im Internet vorgehen. - sda - Alliance F

Hass ist kein Trieb. Hass ist nichts Unvermeidbares, das nach Befriedigung oder Entladung drängt. Man muss etwas tun, um zu hassen. Man muss sich Hass erlauben. Man muss hassen wollen. Und man kann – auch dies eine beliebte und bewusst gewählte Strategie – Hass nähren, damit er nicht erlischt.

Hass ist auch nicht das Gegenteil von Liebe. Es gibt keinen Automatismus, wonach enttäuschte Liebe in Hass umschlagen muss. Natürlich kann die Erfahrung von Enttäuschung, Rückweisung, Entfremdung, Hilflosigkeit und/oder Kränkung so heftig sein, dass Hassgefühle genährt werden. Dem ist aber niemand hilflos ausgeliefert.

Nicht zu hassen kann man lernen

Denn die gute Nachricht ist: Nicht zu hassen kann man lernen. Dafür braucht es eine klare Haltung: ein inneres Nein zum Hass. Hierzu bedarf es der gegenseitigen Ermutigung – und, wie Florian Illies mit Blick auf die allgegenwärtige Polarisierung der Gesellschaft in Erinnerung ruft, des steten Bewusstseins dafür, was die «Trägheit der Herzen», die Gleichgültigkeit gegenüber dem Hass, anrichten kann.

Hass
Laut Jean-Daniel Strub ist nicht zu hassen erlernbar. Foto: Paul Zinken/dpa - dpa-infocom GmbH

Gewiss aber verträgt es keine Absolution für eine Handlungsweise, die – ob online oder offline – im Leben zahlloser Menschen tiefe Spuren hinterlässt und grossen psychischen wie physischen Schaden anrichtet. Die Aufforderung, sich im Hassen häuslich einzurichten, ist eine Aufforderung zur seelischen Gewalt an sich selbst – vor allem aber ist sie ein Beitrag zur Vergiftung des menschlichen Miteinanders.

Oder auf den Punkt gebracht: Hassen muss man wollen. Nicht hassen auch. Unterstützen wir uns in Letzterem. Den Hass nähren, ihn entschuldigen und ihm eine politische Bühne verschaffen, tun nämlich schon viel zu viele. Und das durchaus radikal.

Zum Autor: In der Kolumne «gleichgestellt» schreiben Jessica King vom überparteilichen Frauendachverband alliance F und Jean-Daniel von männer.ch, dem Dachverband der progressiven Männer- und Väterorganisationen, abwechslungsweise über Themen rund um die Gleichstellung.

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