«Die Swiss soll verstaatlicht werden!»
Unser Kolumnist denkt, dass systemrelevante Infrastruktur wie Flughäfen und Gesundheitssystem in staatliche Hand gehören - und keinen Gewinn machen sollen.

Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
- Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
- Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
- Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.
Mich hat beinahe der Schlag getroffen, als ich sah, dass der Rechtsaussen-Pitbull Andi Glarner und ich mal einer Meinung waren: Glarner denkt, dass es nicht geht, sich Kurzarbeit vom Staat bezahlen zu lassen, während man gleichzeitig Gewinne an die Aktionäre ausschüttet. Das ist Betrug an der Bevölkerung, die neben den ALV-Beiträgen auch noch Steuergeld in die Arbeitslosenversicherung bezahlt.
Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Fluglinie Swiss und der Flughafen Zürich bekommen gerade 1.5 Milliarden Franken Rettungsbatzeli, weil sie systemrelevant sind und man sie nicht einfach so verhungern lassen kann.
Wenn man bedenkt, dass die Swiss die Gewinne der letzten Jahre nach Deutschland hat abfliessen lassen, kommt man ins Grübeln.

Systemrelevante Infrastruktur wie Fluglinien, Flughäfen, Gesundheitswesen, Wasser- und Stromversorgung, Kommunikationsinfrastruktur, ÖV etc. gehören in staatliche Hand, und sollten auch nicht privatwirtschaftlich - also auf Rendite - ausgerichtet sein.
Viele behaupten, dass marktwirtschaftlich organisierte Systeme effizienter sind. Aber stimmt das wirklich? Schauen wir uns doch mal die Spitäler an, die seit sie privatisiert sind, Gewinne abwerfen müssen. Sie können bei den Preisen nicht hoch, also bleibt ihnen nur der Leistungsabbau. «Effizienz» wird nämlich fälschlicherweise nicht an der Leistung gemessen, sondern nur an den Kosten. Um dem Spardruck nachzukommen, wird beim Material, beim Personal und bei der Dienstleistung gekürzt. Was dazu führt, dass weniger wichtige Arbeiten (das Auffüllen des Lagers für Schutzkleidung) aufgeschoben oder vergessen werden.
Oder nehmen wir die Post: Als Erstes beim Lockdown eine Überforderung. Seit Jahren Leistungsabbau, weil sich gewisse Dienstleistungen nicht auszahlen. Der Brief kostet noch gleichviel, aber wir müssen längere Wege und begrenzte Öffnungszeiten hinnehmen. Und falls wir mal eine kompliziertere Frage hätten, ist das Volg-Personal damit überfordert - weil das keine Pöstler sind. Leistungsabbau, um Rendite vorzuweisen. Der ursprüngliche Service public ist nicht mehr gewährleistet. Von der Postauto AG, oder von privater Instandhaltung italienischer Brücken und Autobahnen will ich hier gar nicht erst beginnen.
Internet als Rückgrat der Kommunikation? Die Swisscom reagiert auf Homeoffice zuerst mal mit einem Zusammenbruch, nicht dem ersten in den letzten Monaten. Wenn gespart wird, trifft das zuerst den strukturellen Aufwand und die Qualität. In einer privatwirtschaftlichen Logik ist es zwingend, so wenig Leistung wie möglich zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen. Der Preis wird vom Markt bestimmt, also muss der Gewinn auch hier aus Leistungsabbau generiert werden.

Sowieso, Internet muss als systemrelevante Infrastruktur gelten. Ohne Internet keine Teilhabe an der Gesellschaft. Das haben gerade alle Lehrer erfahren, die ihre Schüler übers Netz zu Hause unterstützen wollten. Chancengleichheit? Nix da. Es war abhängig davon, welchen Vertrag und welchen Anbieter die Eltern der Schüler zu Hause hatten. Die Grundversorgung mit Internet soll vom Staat garantiert werden, nicht von einem Manager, der nur seine Quartalszahlen im Kopf hat. Das Gleiche gilt für Wasser und Strom, da dort nicht mal der Markt spielt. Keine Gewinne aus Infrastruktur, weil die Infrastruktur kein Konsumprodukt ist.
Aber zurück zur Swiss. Die erhält jetzt also einen Kredit von 1.5 Milliarden Franken. Mit dem Geld könnte man 10 bis 15 Tausend KMUs retten und unterstützen. Mit 50 bis 100 Tausend Arbeitsplätzen. Fühlen Sie sich auch gerade etwas unwohl? Sowohl die SVP wie auch die Grünen und die SP finden es auch suspekt, dass weder Parlament noch die Finanzkontrolle die Verträge zu sehen bekamen, nach denen das Geld ausbezahlt werden soll. Niemand kontrolliert, ob die Swiss die Auflagen einhält.
«Aber die müssen das ja zurückzahlen!», werden jetzt einige meiner liberalen Bekannten anführen. Nun ja, aber kann sie das? Fliegen ist kein Zukunftsmarkt mehr. Nicht, weil jetzt alle plötzlich ungeheuer Klima-bewusst werden, sondern weil in den nächsten Jahren jeder Staat als Erstes seine Flughäfen dicht macht, sollten irgendwo fünf Personen mit einem unbekannten Virus infiziert sein. Niemand würde das Corona-Desaster wiederholen wollen.

Und die Kunden werden sich überlegen, ob sie beim nächsten Lockdown - der sicher kommen wird - in Thailand, Tahiti oder auf den Bahamas festsitzen wollen. Also, wenn wir sowieso die Risiken der Fluggesellschaften und Flughäfen tragen, sollten wir sie als Gesellschaft vielleicht auch besitzen. Denn wie wir aus der alten Swissair-Affäre gelernt haben: Die Verantwortlichen bringen ihre Schäfchen ins Trockene, die Kleinen verlieren Job und Geld - und bezahlen muss am Ende der Staat.
Und nein, das ist kein «Sozialismus», wie einige Privatisierungsturbos jetzt heulen werden. Es soll nur sicherstellen, dass systemrelevante Infrastruktur für die Bevölkerung bereitsteht, und dass nicht jahrelang Gewinne abfliessen, wenn dann die Verantwortlichen in einer Krise beim Staat angekrochen kommen, um sich die Taschen auf Kosten der Steuerzahler wieder zu füllen.
Gewinne zu privatisieren, und die Risiken und Verluste der Gesellschaft aufzubürden, das ist das absolute Gegenteil von Liberalismus. Und nach der Corona-Krise müssen wir uns gemeinsam mal den Privatisierungswahn der letzten drei Jahrzehnte anschauen und aufräumen.
Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.