Daniel Koch: Deshalb ist das Drohen mit Atombomben so absurd

Daniel Koch
Daniel Koch

Bern,

Das Drohen mit Atombomben sei absurd, schreibt Daniel Koch. Er beschreibt, was bei einer Explosion wirklich passiert. Und welches die wahren Probleme sind.

Daniel Koch Donald Trump
Daniel Koch schreibt auf Nau.ch regelmässig Kolumnen. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 BAG-Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten.
  • Die werte- und regelbasierte Weltordnung sei in Gefahr, schreibt Koch in seiner Kolumne.
  • Eine Pseudodebatte über Neutralität oder den Status S könne ruhig etwas warten.

Vor 80 Jahren, am Ende des Zweiten Weltkrieges, wurden Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Die Erinnerung an dieses schreckliche Ereignis wurde am 6. und am 9. August mit Bildern über die Gedenkfeierlichkeiten in Japan weltweit verbreitet.

Dies in einer Zeit, in der die Grossmächte ihr atomares Waffenarsenal wieder auffrischen. Und mit Kriegen und Drohgebärden die regelbasierte Weltordnung grundsätzlich infrage stellen.

80 Jahre Hiroshima
Hiroshima am 8. September 1945, einige Wochen nach dem Atombombeneinschlag. (Archivbild) - Kestone

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Regeln aufgestellt. Auch, weil die Welt sich einig war, dass niemals mehr solch schreckliche Waffen wie die Atombomben eingesetzt werden dürfen.

Die medizinische Wissenschaft hat damals ganz genau dokumentiert, wie viele Menschen und auf welche Weise die Atombombenexplosionen in Japan getötet haben: 100'000 Menschen starben sofort. Es waren fast ausschliesslich Zivilisten und von der japanischen Armee verschleppte Zwangsarbeiter.

Atombomben töten barbarisch

An Folgeschäden starben bis Ende 1945 weitere 130'000 Menschen. Die Liste dieser Folgeschäden, welche aufgrund der Strahlendosis erstellt wurde, beschreibt in erschreckendem Detail, wie brutal, langsam und barbarisch Atombomben töten.

Bei einer relativ kleinen Strahlendosis (1 bis 2 SV=Sievert), weit entfernt vom Kern der Atombombenexplosion, entsteht eine leichte Strahlenkrankheit, an der innert eines Monates zehn Prozent der Menschen an Infektionen sterben.

Das passiert wirklich bei einem Atomschlag

Bei einer Strahlendosis von 2 bis 4 Sievert entsteht eine schwere Strahlenkrankheit. Zwischen 35 und 50 Prozent sterben in den darauffolgenden dreissig Tagen. Und zwar an Infektionen, Durchfall und unkontrollierbaren Blutungen im Mund, unter der Haut oder den Nieren.

80 jahre hiroshima
Luftaufnahme der Atombombe auf Hiroshima vor 80 Jahren, gezeigt im Hiroshima Museum. - depositphotos

Bei einer Strahlendosis zwischen 6 bis 50 Sievert entstehen die schwersten Strahlenkrankheiten: Innert dreissig Tagen erhöht sich die Sterblichkeit schrittweise von gegen 50 Prozent bei 4,5 Sievert. Bis zu 90 Prozent bei 6 Sievert.

Von Anfangssymptomen bis zur Sterbephase

Das Auftreten der Anfangssymptome beginnt innerhalb von 30 bis 120 Minuten und dauert bis zu zwei Tage an. Danach setzt eine 7- bis 14-tägige Erholungsphase ein. Wenn diese vorüber ist, tritt der Tod in der Regel zwei bis zwölf Wochen durch Infektionen und Blutungen ein. Bei 6 bis 10 Sievert sterben alle bereits innert vierzehn Tagen.

Bei Strahlendosen von 10 bis zwanzig Sievert entstehen die Symptome innerhalb von 5 bis 30 Minuten. Nach der sofortigen Übelkeit und grosser Schwäche folgt eine mehrtägige Phase des Wohlbefindens («Walking-Ghost-Phase»).

Atombombe
Protest gegen Atombomben. - AFP/Archiv

Danach folgt die Sterbephase mit raschem Zelltod im Magen-Darm-Trakt, der zu massivem Durchfall, Darmblutungen und Wasserverlust führt. Der Tod tritt innert sieben Tagen mit Fieberdelirien und Koma durch Kreislaufversagen ein.

Strahlendosen von zwanzig bis fünfzig Sievert überlebt der Mensch im Durchschnitt nur drei Tage. Bei 50 bis 80 Sievert stirbt man innert Sekunden bis Minuten durch das völlige Versagen des Nervensystems. Und bei noch höheren Strahlendosen ist man sofort tot.

Überlebt, aber Missbildungen bei Neugeborenen

Bei den Überlebenden der ersten Monate und Jahre treten häufig noch Krebsleiden auf. Oder Missbildungen bei Neugeborenen.

Japan gibt die Gesamtzahl der Todesopfer (einschliesslich der an Strahlenkrankheiten und -verletzungen Verstorbenen) bisher mit 344'306 für Hiroshima an. Und mit 198'785 für Nagasaki an (Stand: August 2024).

Röntgenstrahlen werden in der Schweiz überwacht

Natürlich werden Röntgenstrahlen auch bei der Diagnostik und Therapie eingesetzt. Unsere moderne Medizin wäre ohne diese Hilfsmittel nicht denkbar. Da eine Dosis von einem Sievert aber ein sehr grosser Wert ist, werden die üblicherweise vorkommenden Dosen häufig in Millisievert (ein Tausendstel von Sievert, auch «mSv» geschrieben) oder Mikrosievert (ein Millionstel von Sievert, auch «μSv» geschrieben) angegeben.

Der Gefährlichkeit ionisierender Strahlen ist man sich sehr wohl bewusst. Und deshalb wird die Strahlendosis in der Schweiz ganz genau überwacht. Niemand wird gefährlichen Dosen ausgesetzt.

Strahlen
Eine Röntgenaufnahme von einer Lunge. - AFP/Archiv

So darf laut der Strahlenschutzverordnung beispielsweise für beruflich strahlenexponierte Personen (Röntgenpersonal) die effektive Dosis den Grenzwert von 20 mSv pro Kalenderjahr nicht überschreiten.

Atombomben: Menschliches Leiden übersteigt Vorstellungskraft

Führt man sich all diese Informationen vor Augen, sieht man, wie absurd das Spiel und Drohen mit Atombomben ist.

Das menschliche Leiden, das eine Atombombenexplosion auslösen kann, übersteigt jegliche Vorstellungskraft.

Diktatoren und Führer dieser Welt, die mit Atombomben drohen und internationales Völkerrecht und Grenzen verletzen, müssten sich eigentlich bewusst sein, dass mit dem heutigen Wissen über die Auswirkungen einer Atombombenexplosion nicht eine neue Weltherrschaft, sondern das Ende der zivilisierten, wertebasierten Völkergemeinschaft eingeläutet würde.

Putin will alte Sowjetunion zurück

Ob der Präsident der USA wirklich einen Schritt zu einem stabileren Weltfrieden gemacht hat, indem er Putin in Alaska den roten Teppich ausrollt, wird sich zeigen.

Alaska
Der rote Teppich für Wladimir Putin: Donald Trump hat den russischen Präsidenten in Alaska empfangen. - keystone

Ich hoffe, dass ihn nicht nur Geschäfte, Reichtum und sein eigener Profit interessieren, sondern auch die Menschen und die unter der Aggression von Putin leidenden Ukrainer. Putin interessiert offensichtlich nur die Macht. Er will die alte Sowjetunion zurück, ein Tyrannenstaat wie damals unter Stalin.

Atombomben-Abschreckung als einzige Hoffnung

Der hatte mit der ersten erfolgreichen Zündung einer sowjetischen Atombombe 1949 das atomare Wettrüsten provoziert.

Heute besitzt die Welt Wasserstoffbomben, die 4000 Mal mehr Sprengkrafthaben als die ersten Atombomben. Aber macht das überhaupt noch Sinn? Im Moment ist die gegenseitige Abschreckung mit Atombomben offenbar die einzige Hoffnung, dass irre Machthaber nicht die Weltherrschaft an sich reissen.

Fühlst du dich von Atombomben bedroht?

Aber: Gerade, weil es so absurd ist, dürfen wir nicht vergessen, wie unmenschlich grausam Atomwaffen töten.

Denken Sie, werte Leserin und Leser, einen kleinen Augenblick lang an die hunderttausenden von Frauen, Männern und Kinder in Hiroshima und Nagasaki, die nicht unmittelbar durch die Atombomben getötet wurden.

Sondern die Stunden, Tage, teilweise sogar wochenlang unter unsäglichen Qualen und Leiden, betroffen von den Strahlenkrankheiten, einem sicheren Tod ausgeliefert waren. Wer hat sie gepflegt? Wer hat sie in den letzten Stunden in einer strahlenverseuchten Stadt begleitet?

Die werte- und regelbasierte Weltordnung ist in Gefahr

Was hätte wohl Henry Dunant, der Gründer des Roten Kreuzes gesagt, wenn er an Stelle der verwundeten Soldaten auf dem Schlachtfeld von Solferino, die durch Strahlen erkrankten Zivilisten in Japan gesehen hätte?

Ich glaube, die Schweiz täte gut daran, sich wieder vermehrt am Vorbild seines berühmten Landmanns zu orientieren. Und sich wieder aktiver und vermehrt für das humanitäre Völkerrecht einzusetzen.

Henry Dunant ist bekannt als Humanist und Gründer des Internationalen Roten Kreuzes. Doch als junger Mann wirkte er als kolonialer Unternehmer in Algerien. Das Dunant-Museum widmet diesem we
Henry Dunant ist bekannt als Humanist und Gründer des Internationalen Roten Kreuzes. Doch als junger Mann wirkte er als kolonialer Unternehmer in Algerien. Das Dunant-Museum widmet diesem we - sda - Keystone/PHOTOPRESS-ARCHIV/STR

Dazu gehört in erster Linie auch, viel mehr Hilfe für die Opfer der Kriege zu mobilisieren.

Sowohl in der Ukraine, im Gazastreifen als auch im Sudan. Denn: Die werte- und regelbasierte Weltordnung ist wirklich in Gefahr.

Eine Pseudodebatte über Neutralität oder den Status S kann dabei ruhig etwas warten.

Zum Autor: Daniel Koch war zwischen 2008 und 2020 Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Er ist der Öffentlichkeit als «Mister Corona» bekannt und schreibt regelmässig Kolumnen auf Nau.ch. Koch lebt im Kanton Bern.

Kommentare

User #1417 (nicht angemeldet)

Vor wenigen Jahren war es absurd anzunehmen dass Russland einen europäischen Staat angreift . Soviel zu den "Experten" Meinungen.

User #1393 (nicht angemeldet)

War Daniel beim bebaden der Aare im Anzug zu lange unter Wasser oder ist der 2. Booster Schuld?

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