Unser Kolumnist fragt sich, warum man sich in der reichen Schweiz den Schutz der Bevölkerung nicht leisten kann – und er würde als Linker Natalie Rickli wählen.
Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi äussert sich zum Schutz in der Corona-Pandemie.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Trotzdem können wir es uns offenbar nicht leisten, unsere Bevölkerung in einer Pandemie ausreichend zu schützen. Die (vielleicht) am Mittwoch ergriffenen Massnahmen kommen laut Corona-Taskforce zu spät und sind ungenügend. Und ein Lockdown wird nicht dabei sein. Aus Kostengründen.

Geiz ist geil – und am Schluss schaut jeder auf das eigene Konto, auch bei Corona. Letzte Woche haben verschiedene Kantone gemeldet, dass sie zusätzliche Intensivbetten für schwere Verläufe bereitgestellt haben. Das ist auf den ersten Blick löblich. Schaut man aber, wie zögerlich harte Massnahmen ausgesprochen wurden, kommt man ins Nachdenken. Fakt ist, dass es weniger kostet, ein paar Intensivbetten aufzustellen, als dafür zu sorgen, dass es weniger Intensivpatienten gibt.

Die Corona-Pandemie kostet sowieso sehr viel Geld, egal ob man einen Lockdown macht oder ob man zögerliche Massnahmen ergreift. Die Frage ist eher: Wer bezahlt? Bei einem Lockdown wären Staat und Sozialversicherungen in der Pflicht, Arbeitgeber müssten sich drum kümmern. Bei Massnahmen, die die Wirtschaft offenhalten, bleibt die Verantwortung beim Arbeitnehmer.

Coronavirus
Ein Mitarbeiter des Universitätsspitals Lausanne kümmert sich um eine Patientin, die sich mit dem Coronavirus infiziert hat. - Keystone

Selbst jetzt, wenn die Pandemie wieder ungebremst um sich greift, haben Risikopatienten kein Recht darauf, dem Arbeitsplatz, oder dem Arbeitsweg, fernzubleiben. Alles ist Goodwill der Arbeitgeber. Solange man Abstand halten und eine Maske tragen kann, kann man auch an den Arbeitsplatz gezwungen werden. Geht man nicht, trägt man die Folgen als Privatperson - Kündigung oder Lohneinbusse. Und wenn man nur einen Angehörigen im gleichen Haushalt schützen will, zum Beispiel als Partner oder Elternteil eines Risikopatienten, hat man gar keine Rechte. Bleibt man dann zu Hause, kann das den persönlichen Bankrott bedeuten.

Noch klarer wird es zum Beispiel bei den Pandemieversicherungen in der Gastronomie: Solange ein Geschäft offenbleiben kann, egal ob die Gäste aus Angst ausbleiben, ist keine Versicherung verpflichtet, den Schaden zu übernehmen. Die müssen erst zahlen, wenn eine Beiz oder ein Club behördlich geschlossen wird. Bis dahin kann man diese KMUs verhungern lassen. Auch der Staat will da vorher kaum Hilfe leisten. Hilfe, die bei einem Lockdown Teil des Pakets wäre.

«Wir müssen einen zweiten Lockdown UM JEDEN PREIS verhindern", war ein viel gehörtes Statement in den letzten Tagen. Und das war auch so gemeint. Leben retten ist zu teuer. Zusammen mit dem Credo «Eigenverantwortung» macht das auch Sinn. Es bedeutet: «Ihr müsst die Kosten als Privatpersonen oder als Kleinunternehmer zahlen, wir wollen weder dem Staat noch der Wirtschaft diese Kosten zumuten. »

Rettungspakete für Konzerne, die gleichzeitig Gewinne auszahlen und Leute entlassen, werden natürlich weiterhin möglich sein.

Also Klartext: Sie werden gerade von der Politik im Stich gelassen. Seit dem Frühling hatten die Lobbys Zeit, Einfluss zu nehmen. Die Politiker hören nicht mehr auf EpidemiologInnen, sie hören auf die Leute, die ihnen und sich selbst Kosten ersparen wollen. Kosten, die Sie, liebe Leser, dann aus dem eigenen Portemonnaie bezahlen.

Nicht nur, dass die politischen verantwortlichen einen Preiszettel an das Leben ihrer Grossmutter, ihres Partners, ihres Kindes geklebt haben, nein, sie wollen selbst dann nicht bezahlen, wenn ein Schutz möglich wäre. Sie zwingen Sie, zwischen dem Geld und dem Schutz von Gefährdeten zu entscheiden. In Eigenverantwortung.

Und das quer durch alle Parteien. Ich, als dezidiert Linker, habe feststellen müssen, dass die einzige Regierungsrätin in Zürich, die noch eine Stimme von mir bekäme, die SVP-Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli ist. Nicht, weil ich plötzlich ihre Partei besser fände, nein. Aber sie hat als Person in der Exekutive die Sicherheit der Bevölkerung höher gewichtet als die Interessen der Lobbys. Leider wurde sie in der Gesamtregierung überstimmt.

Natalie Rickli
Regierungsrätin Natalie Rickli, Vorsteherin der Gesundheitsdirektion, spricht an einer Medienkonferenz. - keystone


Bitte erinnern Sie sich bei den nächsten Wahlen daran, wer den Schutz der Bevölkerung billigst an die nächstbeste Lobby verhökert hat. Und lassen Sie dann diese Leute wenigstens den politischen Preis bezahlen.

Zum Autor: Reda El Arbi ist 51-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und mehreren Hunden in Stein am Rhein SH.

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