Bigler: «EU-Verträge mit fragwürdigem Dauer-Aufenthaltsrecht»
Wie der Bundesrat zur Feststellung kommt, dass die Schweiz von den neuen Rahmenverträgen profitieren soll, ist für unseren Kolumnisten ein Rätsel.

Das Wichtigste in Kürze
- Hans-Ulrich Bigler schreibt regelmässig Kolumnen auf Nau.ch.
- Heute schreibt er über die ausgehandelten Rahmenverträge mit der EU.
- «Das Daueraufenthaltsrecht könne kaum mehr entzogen werden», findet Bigler.
Die von der Schweiz mit der EU ausgehandelten Rahmenverträge stehen auf der politischen Agenda seit Wochen zuoberst. Das wird sich in den nächsten zwei Jahren auch kaum ändern.
Angesichts der fortwährenden Verschleierungstaktik seitens der Mehrheit der politischen Parteien und des Bundesrates ist es gut, die Auswirkungen intensiv zu diskutieren.
Es lohnt, sich selber ein Bild zu machen und nicht populistischen Slogans der Befürworter aufzusitzen.
Aufmerken liess vor kurzem eine Headline des Tages-Anzeigers, die kaum als militant EU-kritisch bezeichnet werden kann. «EU-Verträge: Bund erwartet Tausende neue Sozialfälle pro Jahr», stand auf der Frontpage zu lesen. Das lässt aufhorchen!
Der Bundesrat verharmlost
Im Zentrum der Diskussion steht das ausgehandelte Daueraufenthaltsrecht, das mit der Unionsbürgerrichtlinie UBRL eingeführt wird.
Und bereits hier verharmlost der Bundesrat in seinen Aussagen. Kommen könne nur, wer eine Arbeitsstelle habe. Das stimmt, aber der Beschäftigungsgrad ist offen.
Wer also selbst mit einem 20-Prozent-Pensum mindestens fünf Jahre in der Schweiz lebt und arbeitet, erhält das Daueraufenthaltsrecht.
Integrationskriterien gibt es keine
Doch es geht noch weiter: Integrationskriterien gibt es keine. Das Daueraufenthaltsrecht kann kaum mehr entzogen werden.
Auch eine Person, die nicht mehr arbeitet, hält sich fortan rechtmässig in der Schweiz auf. Sie hat damit einen uneingeschränkten Anspruch auf Ausrichtung von Sozialhilfe entsprechend den für Inländer geltenden Regelungen.
Es gilt das Verbot der Diskriminierung im Bereich der Sozialhilfe. Der Entzug des Aufenthaltsrechts ergibt sich daraus, wie dargestellt, eben nicht.
Recht auf Familiennachzug kommt dazu
Kommt das Recht auf Familiennachzug hinzu. Dieses gilt für Eltern, Grosseltern und Kinder auch aus Drittstaaten uneingeschränkt.
Damit entsteht ein nicht hinnehmbares Sozialhilferisiko. Dieses Risiko wird – entgegen der bundesrätlichen Erläuterungen – auch nicht dadurch abgefedert, dass in der Tendenz Personen in den Genuss des Daueraufenthaltsrechts kommen werden, die nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert sind.
Würde sich die Konjunktur in der Schweiz abkühlen und die Arbeitslosigkeit steigen, sähe sich die Schweiz mit einer grossen Zahl von EU-Ausländern konfrontiert.
Diese hätten dank eines nicht entziehbaren Aufenthaltsrechts uneingeschränkten Anspruch auf Sozialhilfe.

Horrorszenarien oder Fakten?
Es stellt sich die Frage, mit welchen Zahlen konkret zu rechnen ist. Und hier wird es nun interessant: Der Bund hat offenbar die Problematik sehr wohl erkannt – und näher untersucht.
Seine Experten – wohlgemerkt nicht etwa Gegner der EU-Rahmenverträge – die eigenen Experten des Bundes schätzen die Zahl für ein Daueraufenthaltsrecht nach fünf Jahren auf einen Schlag auf 690'000 Berechtigte. In den Folgejahren kämen pro Jahr weitere 70'000 hinzu.
Offen bleibt, wie viele davon das Daueraufenthaltsrecht dann auch tatsächlich beanspruchen würden. Auch hier wird wiederum gezielt verwedelt und beruhigt.
Beruhigungspille wird verabreicht
Bezeichnend dafür ein Gastkommentar von Henri Gétaz dieser Tage in der «NZZ». Ein netter Herr, ehemaliger Generalsekretär der EFTA und Direktor für europäische Angelegenheiten im EDA. Also aus dem Departement von Bundesrat Cassis und viele Jahre in Brüssel tätig.
Dieser Spitzendiplomat schreibt: «Wer heute schon genau beziffern will, wie viele zusätzliche EU-Bürger mit dem revidierten Personenfreizügigkeitsabkommen in den Genuss eines Daueraufenthalts kämen, hantiert mit reinen Fantasiezahlen.»
Ein entlarvender Satz. Einerseits steht dahinter das Eingeständnis, dass der Bund keine Ahnung betreffend der Auswirkungen des Daueraufenthaltsrechts auf die Schweiz hat.

Andererseits wird sofort die Beruhigungspille verabreicht, indem Gétaz argumentiert, angesichts langfristiger Übergangsbestimmungen würde dies «nicht vor 2035» der Fall sein.
Kurz gesagt, wir wissen es nicht. Also überlassen wir mögliche Probleme der nächsten Generation. Es wird schon gut kommen.
Das sehen zumindest die Kantone anders, fordern sie doch heute schon für diesen Fall ein Sozialhilfe-Monitoring und Übernahme von aus dem Daueraufenthalt resultierenden Sozialhilfekosten durch den Bund.
Unangenehm werden die Bürger an die Einführung der bilateralen Verträge vor zwanzig Jahren erinnert: Damals sprach der Bundesrat von höchstens 10'000 Personen aus dem EU-Raum.
Gutes Leben dank der Sozialhilfe
Heute wissen wir, dass rund zehnmal mehr auf der Grundlage der Personenfreizügigkeit in die Schweiz gekommen sind. So viel noch einmal zu den Fantasiezahlen.
Beim Daueraufenthaltsrecht, das mit den neuen EU-Verträgen eingeführt werden soll, handelt es sich um nichts anderes als ein Aufenthaltsrecht.
Zur Person
Hans-Ulrich Bigler ist Ökonom und war von 2008 bis 2023 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV). Er ist im Vorstand mehrerer Verbände und sass von 2015 bis 2019 für die FDP im Nationalrat. Heute ist Bigler SVP-Mitglied.
Bereits heute gibt es in der Praxis Beispiele, in denen sich Ausländer jahrelang mit Temporär-Anstellungen durchschlagen. Für die meisten davon würde künftig der Druck wegfallen, einer Arbeit nachzugehen, wenn sie dank des neuen Daueraufenthaltsrechts dauerhaft Sozialhilfe beziehen könnten.
Sie würden in der Schweiz mit Sozialhilfe noch immer viel besser als mit Arbeit im Ausland leben.
Verbleibt am Schluss die offene Frage, weshalb der Bundesrat zur Feststellung kommt, dass die Schweiz von den neuen Rahmenverträgen profitieren soll.












