Der russische Soldat Wadim Sch. (21) wurde wegen Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg verurteilt. Ein Psychiater erklärt, warum dies kaum weitere Täter abschreckt.
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Der russische Soldat Wadim Sch. wurde wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine zu lebenslanger Haft verurteilt. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Gräueltaten russischer Soldaten in der Ukraine sorgen weltweit für Entsetzen.
  • Im ersten Kriegsverbrecher-Prozess wurde nun der 21-jährige Wadim Sch. verurteilt.
  • Schrecken andere Soldaten nun aus Angst vor den Konsequenzen vor Kriegsverbrechen zurück?
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Er erschoss im Ukraine-Krieg einen unbewaffneten Zivilisten. Am Montag wurde der russische Soldat Wadim Sch. im ersten ukrainischen Kriegsverbrecherprozess zu lebenslanger Haft verurteilt.

Der 21-Jährige soll nicht der einzige Russen-Soldat bleiben, der vor das Kriegsgericht muss. Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa erklärte am Montag am WEF: Aktuell würden etwa 13'000 Fälle von mutmasslichen Kriegsverbrechen der Russen untersucht. Bald sollen 49 weitere Soldaten vor Gericht gestellt werden.

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Der russische Soldat Wadim Sch. wurde wegen Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg zu lebenslanger Haft verurteilt. - Keystone

Immer wieder sorgen die Gräueltaten der russischen Armee im Ukraine-Krieg international für Entsetzen: Die Soldaten vergewaltigen, ermorden und foltern Zivilisten. Doch ändert das Kriegsverbrecher-Urteil jetzt etwas an dem brutalen Verhalten der russischen Soldaten?

Prozesse im Ukraine-Krieg zielen nur auf gewisse Täter ab

Beim Grossteil wohl nicht, sagt der renommierte Psychiater Frank Urbaniok zu Nau.ch. Die Bedeutung von solchen Prozessen sei aber trotzdem nicht zu unterschätzen.

«Strafprozesse sind im Krieg aufgrund der Signalwirkung wichtig», so Urbaniok. «Sie zeigen, dass der Rechtsstaat nicht völlig aufgehoben ist.»

Aber: «Auf die allermeisten Täter haben solche Urteile keinen Abschreckungseffekt.»

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Frank Urbaniok ist ein renommierter Psychiater. Er hat ein Modell zu Persönlichkeits- und Situationstätern erstellt. - zVg

Der Psychiater unterscheidet zwischen Persönlichkeits- und Situationstätern. Dabei sind erstere die Treiber hinter Gewaltexzessen. Sie sind auch ausserhalb des Krieges gewaltbereit – und somit mit Strafrecht nicht zu beeindrucken.

Bei Situationstätern sieht das etwas anders aus: Dafür, dass sie eine Gewalttat verüben, muss eine bestimmte Situation gegeben sein. Im Krieg sind dabei drei Faktoren zentral. Das geringe Bestrafungsrisiko, das grosse Machtgefälle zwischen Bewaffneten und Unbewaffneten sowie die Legitimation ihrer Taten durch Schönreden («Entnazifizierung»).

«Effekt auf Summe der Taten gering»

Eine abschreckende Wirkung können die Strafprozesse im Ukraine-Krieg also theoretisch nur auf Situationstäter haben. Denn bei ihnen spielt die Gefahr, bestraft zu werden, eine Rolle. Urbaniok betont jedoch: Kriegsverbrechern wird nur verhältnismässig selten der Prozess gemacht.

«Strafverfolgung für Kriegsverbrecher ist eine absolute Ausnahme», so der Psychiater. «Das subjektiv empfundene Bestrafungsrisiko ist also sehr gering.»

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Die Möglichkeit, zur Rechenschaft gezogen zu werden, sei bei den Tätern zwar vielleicht im Hinterkopf. «Aber die Chance, selber erwischt zu werden, ist sehr gering.» Zudem würden die Prozesse gegen Kriegsverbrecher ja nur auf einen der drei für Situationstäter wichtigen Faktoren einwirken. Er hält fest: «Der Effekt auf die Summe der Taten dürfte sehr gering sein.»

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Zusammenfassend kann man also sagen: Die Abschreckung durch Lebenslänglich-Urteile für Kriegsverbrecher funktioniert nur bei Personen, die sowieso schon eine gewisse Distanz zur Gewalt haben. «Für die anderen ist das viel zu abstrakt», erklärt Urbaniok.

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