Abschied nehmen ist im Zeitalter der Corona-Pandemie noch schwerer geworden. Das weiss Arzt Heinz Hämmerli zu gut. Er verlor seinen Vater an das Virus.
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Kinderkardiologe Mark Hämmerli verlor seinen Vater an Corona. - Werner Rolli
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Aargauer Arzt Mark Hämmerli verlor seinen Vater an Corona.
  • In der Nau.ch-Corona-Serie teilen Menschen ihr Schicksal.

Ich treffe Mark Hämmerli zu Hause in Othmarsingen AG. Er ist zwar pensioniert, übernimmt aber immer noch Ferienvertretungen im Kantonsspital Baden. Sein Spezialgebiet ist die Kinderkardiologie. Diese Wahl sei eher Zufall gewesen, erzählt er, doch habe sich dies nachträglich als Glücksfall herausgestellt.

Sein grosses Vorbild sei der Hausarzt der Familie gewesen. Eine «erbliche Vorbelastung» ist nicht auszumachen. Mark Hämmerli erzählt: «Mein Vater – Heinz Hämmerli - hat Betriebswirtschaft studiert und viele Jahre im Management verschiedener Unternehmen gearbeitet. Mit 60 hat er sich als Unternehmensberater selbständig gemacht und im Mandatsverhältnis Firmen beraten, einzelne Mandate hat er bis wenige Monate vor seinem Tod ausgeübt. Er hat mehrere Male gesagt, dass er dabei zum Abschluss seiner beruflichen Laufbahn am meisten Erfüllung gefunden habe».

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Erinnerungen: Mark Hämmerlis Vater Heinz ist an Corona gestorben. - Werner Rolli

Coronavirus gelangte trotz Massnahmen in die Seniorenresidenz

Vor acht Jahren sind Heinz Hämmerli und seine Ehefrau Elisabeth in eine Seniorenresidenz umgezogen. Das Konzept der Institution sieht vor, dass ältere Menschen möglichst lange selbständig bleiben und ihren eigenen Haushalt führen, bei Bedarf jedoch Pflegeleistungen beanspruchen können. Im Verlauf des letzten Jahres wurde Heinz Hämmerli zunehmend gebrechlicher und im Sommer sind mehrere Spitalaufenthalte notwendig geworden.

Die Abhängigkeit hat ihm sichtlich Mühe bereitet und eine Unterstützung durch seine gleichaltrige Ehefrau wäre natürlich nicht möglich gewesen. Ein Daueraufenthalt auf der Pflegestation erschien allerdings nicht notwendig und Heinz Hämmerli verbrachte jeweils nur die Nacht dort. Am Morgen konnte er so Hilfe beim Waschen und Anziehen in Anspruch nehmen und tagsüber gemeinsam mit Elisabeth in der eigenen Wohnung sein.

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Mark Hämmerli erinnert sich an seinen verstorbenen Vater. - Werner Rolli

Trotz aller Vorsichtsmassnahmen wurde dann im Oktober das Corona Virus in die Pflegeabteilung eingeschleppt, dabei hat sich auch Heinz Hämmerli angesteckt und er wiederum brachte das Virus in die gemeinsame Alterswohnung. Das bedeutete, dass die Eheleute getrennt wurden, während Elisabeth Hämmerli in der Wohnung isoliert war, musste Heinz Hämmerli – ebenfalls isoliert - in der Pflegeabteilung bleiben. «Zu Beginn schien die Erkrankung nicht so schlimm, doch nach rund zehn Tagen begann sich der Zustand meines Vaters massiv zu verschlechtern», erzählt Mark Hämmerli.

«Die Aufenthalte im Spital waren für meinen Vater eine traumatische Erfahrung gewesen und er hätte auf keinen Fall wieder in ein Spital verlegt werden wollen. Wir entschieden uns deshalb, ihm die bestmögliche Palliativpflege zukommen zu lassen». Es war ein langer Weg. Die nächsten 8 Tage lang befand sich Heinz Hämmerli meist in einem Dämmerzustand.

«Erschwerend kam hinzu, dass keine Patientenverfügung vorhanden war und deshalb musste ich für ihn wichtige Entscheidungen fällen», sagt Mark Hämmerli. Angehörige versuchen in solchen Fällen, den mutmasslichen Willen des Patienten zu erahnen: «Geholfen hat mir dabei natürlich mein Hintergrund als Mediziner und die zahlreichen Diskussionen mit Ärzten und dem Pflegepersonal.»

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Mark Hämmerli besuchte seinen kranken Vater bis zum Schluss jeden Tag - unten strengen Vorsichtsmassnahmen. - Werner Rolli

Arzt musste über seinen todkranken Vater entscheiden

«Was für mich auch klar war, ist, dass mein Vater nicht einfach alleine, in totaler Isolation sterben sollte. Man hat diese Bilder aus Italien vor Augen, ich muss aber ganz deutlich sagen, dass dies bei uns nicht so war. Ich habe meinen Vater jeden Tag besucht, ich habe ihn auch berührt, ihn wissen lassen, dass jemand bei ihm ist. Allerdings war dies nur dank entsprechenden Schutzmassnahmen möglich. Zu diesen Schutzmassnahmen gehörten nicht nur regelmässiges Lüften und entsprechende Kleidung – Schurz, Handschuhe und medizinische Maske – sondern auch ein konsequentes Fernhalten von gefährdeten Personen.»

Auch das Pflegepersonal habe sich sehr liebevoll und mit viel Verständnis um seinen Vater gekümmert.

«Meine Mutter war zu schwach, um ihn noch zu besuchen und es wäre auch ein zu grosses Risiko gewesen», sagt Mark Hämmerli. «Das macht ihr immer noch sehr zu schaffen. Dass meine Eltern – nach 70 Jahren Ehe – nicht voneinander Abschied nehmen konnten, war schon eine traumatische Erfahrung». Auch seine zwei Töchter konnten Heinz Hämmerli nicht mehr besuchen.

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Jeder dritte Covid-Patient im Genfer Unispital infizierte sich dort. - keystone

Abstand auch an Beerdigung

Als Mediziner kann Mark Hämmerli zwar abstrahieren, doch «bei meinem Vater wurde das Thema Sterben doch viel konkreter», sinniert der pensionierte Arzt. Umso wichtiger war für die Familie eine würdige Trauerfeier. Die Beerdigung fand natürlich in kleinem Rahmen statt (in den Kantonen Bern und Aargau waren Ende Oktober bis zu 50 Personen zu einer Beerdigung zugelassen). Auch ein gemeinsames Essen war möglich – der Wirt hat dafür extra einen Saal hergerichtet und für genügend Abstand zwischen den Sitzplätzen gesorgt.

«Wenn wir etwas lernen können aus der aktuellen Situation, dann wohl einfach dies. Wir dürfen ältere Menschen nicht alleine lassen», so Hämmerli.

Mark Hämmerli sagt, er sei jetzt selbst noch vorsichtiger geworden. «Aber wir leben nicht in ständiger Angst vor diesem Virus». Wer selbst von einem geliebten Menschen Abschied nehmen muss, sollte auf sein Herz hören und seinen Körper schützen. «Ich bin dankbar, dass ich meinen Vater in diesen letzten Tagen begleiten durfte und werde ihn als fürsorglichen und humorvollen Menschen in Erinnerung behalten».

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