Rechtsanwältin erklärt die Scheinehe von Viktor Giacobbo
Das Wichtigste in Kürze
- Viktor Giacobbo war mit einer lesbischen Ausländerin verheiratet.
- Eine Rechtsanwältin erklärt, weshalb dies in den 90er-Jahren keine Seltenheit war.
Viktor Giacobbo hat also eine Scheinehe geführt. Sieben Jahre lang war der heute 67-Jährige mit einer Frau verheiratet, die er mochte, aber nicht liebte.
Der Grund: Sie war lesbisch und Ausländerin. Ohne Trauschein aber, konnte sie nicht mit ihrer Schweizer Partnerin zusammenleben. Keine Seltenheit in der Schweiz der Neunzigerjahre.
Legales Zusammenleben war unmöglich
«Es war schlimm damals», erinnert sich Nadja Herz, Rechtsanwältin und Co-Präsidentin der Lesbenorganisation Schweiz LOS. «Es gab sehr viele gleichgeschlechtliche Paare, die nicht zusammenleben durften.»
Das Problem war die Aufenthaltsbewilligung. «Erst 2007 trat das Partnerschaftsgesetz in Kraft». Davor konnten Schweizerinnen und Ausländerinnen nicht einfach so legal zusammenleben», erklärt Herz. Bis 2002, als die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU in Kraft trat, war dies nicht einmal mit europäischen Partnerinnen möglich.
Während heterosexuelle Paare also jederzeit die Möglichkeit hatten, mit einer Heirat die Landesgrenze verschwimmen zu lassen, konnten homosexuelle Paare das bis 2007 nicht. Erst da nämlich wurde das Partnerschaftsgesetz für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt. Es schuf die Möglichkeit, dass die Partnerin, gestützt auf die Partnerschaft, eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz bekommen konnte.
Heirat über Kreuz
«Viele gingen darum eine Scheinehe ein. Einfach, um ein gemeinsames Leben aufbauen zu können», erklärt Herz. Teilweise heirateten lesbische und schwule Pärchen «über Kreuz», so Herz. Damit war gleichzeitig beiden Paaren geholfen.
«Oder Freunde boten sich für eine Scheinehe an, wie Viktor Giacobbo das offenbar gemacht hat», fährt Herz fort. «Eine solche Ehe ist allerdings immer mit erheblichen Risiken verbunden. Durch eine Ehe entsteht eine rechtliche Bindung. Und eine finanzielle Verantwortung für eine Ehepartnerin oder einen Ehepartner, die oder der aber keine richtige Partnerin ist. Eine Scheinehe mussten alle Beteiligten sich sehr gut überlegen», fährt Herz fort.
Was, wenn der Scheingatte sich verliebte und «richtig» heiraten wollte? Oder bei der Ehe über Kreuz zwischen zwei Paaren das eine Paar sich trennte? «Ich habe als Rechtsanwältin gesehen, wie fatal das ist, wenn man Partnerschaften rechtlich nicht absichern kann», sagt Herz. Darum habe sie sich sehr für das Partnerschaftsgesetz eingesetzt und engagiere sich heute für die Ehe für alle.
Beziehung beweisen
Anfang der Nullerjahre gab es immerhin in einigen Kantonen die Möglichkeit, via Migrationsamt eine Aufenthaltsbewilligung für die Partnerin oder den Partner aus dem Ausland zu erwirken. «Dazu musste man allerdings beweisen, dass seit mindestens vier oder fünf Jahren eine Fernbeziehung bestand.»
Herz hat viele dieser Dossiers von gleichgeschlechtlichen Paaren betreut. «In einer Zeit vor E-Mails und SMS nachzuweisen, dass man eine Fernbeziehung hat, war kompliziert. Man brauchte Briefe und Fotos, aber auch Zeugenaussagen», erklärt sie.
Doch in den Neunzigern war es für viele Lesben und Schwule schwierig, sich vor ihren Familien und teilweise auch engen Freundinnen zu outen. «Entsprechend fehlten ihnen teilweise die Zeuginnen für die Fernbeziehung– denn das Umfeld wusste nichts davon.»
Häufiges Problem in der Schweiz
In der kleinen Schweiz war das Problem besonders gross. «Die Schweiz ist ein kleines Land – man verliebt sich schnell über die Landesgrenze hinweg», sagt Herz. «Der Anteil binationaler Beziehungen ist in der Schweiz grundsätzlich höher als in grösseren Ländern, wo die Chance grösser ist, eine Partnerin oder einen Partner mit der gleichen Staatsangehörigkeit zu finden.»
Verliebte sich also eine Frau aus Konstanz (DE) in eine Frau aus Zürich, lebten die beiden näher beieinander, als zwei Menschen aus Basel und dem Wallis. Einen gemeinsamen Haushalt konnten sie vor 2002 ohne Scheinehe aber kaum führen.
Mit der Personenfreizügigkeit wurde es einfacher, eine Aufenthaltsbewilligung via Beruf zu bekommen. Erst seit 2007 reicht dank dem Partnerschaftsgesetz die Liebesbeziehung aus, um zusammen leben zu dürfen. Egal, auf welchem Pass der eigene Name prangt.