Ökonomen sehen «grosses Potenzial» in Bürokratie-Kahlschlag

Riccardo Schmidlin
Riccardo Schmidlin

Bern,

Nach Trumps Zollschock sucht die Schweiz nach Lösungen. Eine davon ist laut Bundesrat der Regulierungs-Abbau. Vier Ökonomen sagen, was drin liegt.

Bürokratie Donald Trump
Nach Donald Trumps Zollhammer drängen Experten auf einen raschen Bürokratie-Abbau. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Experten hoffen nach dem Zollhammer auf Bürokratieabbau in der Schweizer Wirtschaft
  • Allein bei KMUs frisst die Bürokratie sechs Milliarden Franken jährlich.
  • Die Deregulierung kann auch Innovation fördern, sagen Experten.

Nachdem der Bundesrat Trumps Zollhammer nicht hatte abwenden können, hat er am Donnerstag mit Sofortmassnahmen für die Wirtschaft reagiert.

Nebst einem Ausbau der Kurzarbeit sowie Exportförderung setzt die Landesregierung ihre Hoffnung, insbesondere auf die Regulierungsentlastung.

Der Handlungsspielraum bei bestehenden Regulierungen soll ausgeschöpft werden, um Unternehmen zu entlasten. Die Bundesverwaltung arbeitet nun unter Hochdruck am Bürokratie-Abbau.

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Einsparpotenzial gibt es zuhauf: Laut Seco belaufen sich die Bürokratiekosten für Schweizer KMU auf über sechs Milliarden Franken.

Doch welche Bereiche sollten nun angegangen werden?

Der Volkswirt Michele Salvi von der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse sagt auf Anfrage von Nau.ch: «Das grösste Potenzial liegt bei Verfahren mit hohem Aufwand und geringem volkswirtschaftlichen Nutzen.»

Michele Salvi
Michele Salvi, Vizedirektor bei Avenir Suisse, hofft nun auf mehr Deregulierung. - zvg

Er erklärt: «Besonders problematisch sind Bereiche, in denen die Regulierungstiefe über Jahre schleichend und unkoordiniert zugenommen hat.»

Auch Rudolf Minsch, Chefökonom von Economiesuisse, sieht ein breites Problem. Er sagt zu Nau.ch: «Die Regulierung in der Schweiz ist zu dicht geworden. Sie ist zu umfangreich, zu komplex und zu weit weg von der unternehmerischen Realität.»

Gerade im Bereich Energie und Umwelt sowie bei Berichterstattungspflichten machten «feinmaschige und unpragmatische Regulierungen» vielen Firmen das Leben schwer.

Arbeitszeiterfassung und Co. machen KMUs das Leben schwer

Konkrete Beispiele sind laut Avenir Suisse die Vorschriften im Bauwesen, die Baubewilligungen verzögerten. Michele Salvi sieht aber auch in der Exportabwicklung oder bei der Arbeitszeiterfassung Handlungsbedarf.

Die Zahlen sprächen für sich, so Salvi. «Der Regulierungsbestand ist seit 1985 von unter 20'000 auf über 45'000 Seiten angewachsen. Der Bund ändert jährlich über 500 Erlasse – mehr als dreimal so viele wie in den 1960er-Jahren.»

Gibt es in der Schweiz zu viel Bürokratie?

Weiter sei die Zahl der Staatsangestellten überproportional angestiegen. «Diese Entwicklung ist kein Naturgesetz», sagt er. Sie sei politisch getrieben und lasse sich so gezielt korrigieren. «Ohne Qualitätsverlust, aber mit grossem Entlastungseffekt.»

Die Hoffnung: «Weniger Regulierung spart Zeit und Geld, fördert Innovation, erleichtert Investitionen und beschleunigt ihre Umsetzung.»

Rudolf Minsch
Rudolf Minsch, Chefökonom bei Economiesuisse, fordert ein Regulierungsmoratorium. - zvg/keystone

Das sieht auch Rudolf Minsch von Economiesuisse so: «Weniger Regulierung hat zur Folge, dass Unternehmen unnötige Kosten einsparen und sich auf das konzentrieren können, was allen zugutekommt: Erzielung von Wertschöpfung.»

Volkwirtschafts-Professor Mark Schelker von der Uni Freiburg sieht ebenfalls «in vielen Bereichen grosses Deregulierungspotenzial», wie er gegenüber Nau.ch sagt.

Mark Schelker
Mark Schelker, Professor an der Uni Freiburg, sieht in der Deregulierung keine Gefahren. - zvg

«Es gibt viele Handelshemmnisse, die nicht auf Zöllen, sondern auf Vorschriften beruhen und unsere Märkte stark abschotten.»

Einige Beispiele seien: andere Standardmasse bei Küchen oder Fenstern, andere Verpackungsvorschriften oder zusätzliche Zertifizierungen.

Zudem ist es laut Schelker überfällig, das Cassis-de-Dijon-Prinzip umzusetzen. Dieses sieht vor, dass EU-Produkte auch in der Schweiz verkauft werden dürfen, wenn diese dort zugelassen sind. Und auch bei der Landwirtschaft sieht er Deregulierungspotenzial.

Experte warnt vor «KI-feindlicher Insel»

Der Experte betont: «Regulierungsentlastungen am richtigen Ort hätten grosse positive Effekte für die Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch für die Produzenten. Überregulierung macht ineffizient, erhöht die Kosten der Produktion und damit schlussendlich die Preise und sie reduziert die Wachstumsmöglichkeiten.»

Auch bei anstehenden Regulierungen sei Vorsicht zu walten.

Etwa bei der ESG-Regulierung, die Umwelt- und Sozialstandards vorsieht, oder bei der Tech- und KI-Regulierung. «In einer Zeit, in welcher sich eine Tech- und KI-Revolution abspielt, sollten wir nicht eine Tech- und KI-feindliche Insel werden. Das hilft weder der Welt noch uns», mahnt er.

Economiesuisse fordert sogar ein «Regulierungsmoratorium». Es brauche ein Zurückstellen der bereits geplanten Regulierungsvorhaben, die den Standort Schweiz belasteten und die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigten.

Doch: Welche Gefahren lauern bei der Deregulierung?

Schelker sagt: «Ich sehe gesellschaftlich momentan kaum grossen Gefahren. Ausser für die gut-organisierten Interessengruppen, die bisher durch die Regulierung auf Kosten der Allgemeinheit lange schön profitiert haben.» Für zu viel Deregulierung bräuchte es «sehr sehr viel».

Michele Salvi von Avenir Suisse meint dazu: «Deregulierung sollte nicht willkürlich erfolgen. Ziel ist nicht weniger Schutz, sondern mehr Verhältnismässigkeit.»

Denn: «Es geht um eine kritische Prüfung von Aufwand und Wirkung. Gerade dort, wo Vorschriften über Jahre gewachsen, aber nie systematisch hinterfragt wurden.»

Ökonom fordert Abschaffung von Mindeststeuer von Unternehmen

Eine weitere Möglichkeit, um die Wirtschaft zu entlasten, wäre eine Abschaffung der OECD-Mindeststeuer. Über 140 Staaten haben sich darauf geeinigt, international tätige Grossunternehmen mit mindestens 15 Prozent zu besteuern.

Die Schweiz hat diese per Anfang 2024 eingeführt – derzeit ist noch eine Übergangsbestimmung in Kraft.

Nur: In der Zwischenzeit haben die USA sich von der Vereinbarung verabschiedet. «Ich fände eine Abschaffung auch für die Schweiz richtig.» Das sagt Christoph Schaltegger, Ökonomie-Professor und Direktor des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik.

Denn: «Schon deren Einführung war hochproblematisch. Die OECD-Mindeststeuer ist ein Fremdkörper im Schweizer Steuersystem.»

Christoph Schaltegger
Christoph Schaltegger, Ökonom und Direktor des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik, rät zur Abschaffung der OECD-Mindeststeuer. - zvg

Was er damit meint: Wenn ein Staat die Mindeststeuer nicht erhebt, kann ein anderes Land diese fehlende Steuer nachfordern. Das sei ein «rechtsstaatliches Unding», so Schaltegger.

Die Steuer belaste die Unternehmen ebenso wie die Zölle. «Eine Abschaffung der Mindeststeuer kann für ein Unternehmen ein Anreiz sein, in der Schweiz zu verbleiben.» Im Zweifelsfall kann er sich auch eine neue Volksabstimmung darüber vorstellen.

Denn: Die OECD-Mindeststeuer wurde 2023 vom Stimmvolk abgesegnet. «Es hindert die Politik und die Bevölkerung nichts daran, klüger zu werden», findet der Wirtschafts-Experte. «Die damals versprochene Rechtssicherheit ist durch den Austritt der USA nun nicht gegeben.»

Rudolf Minsch von Economiesuisse warnt allerdings vor einer zu grossen Hoffnung: «Es ist wenig realistisch, dass die OECD-Mindeststeuer generell abgeschafft wird, auch wenn die USA nicht mehr an Bord sind.» Wichtig sei daher nun, «mit allen Mitteln» Standortförderung zu betreiben.

Kommentare

User #5488 (nicht angemeldet)

Bundeslöhne mal runternehmen, verdienen alle viel zu viel.

User #8861 (nicht angemeldet)

Braucht ab sofort weniger (Fachkräfte)

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