Lehrermangel: Mehr Gepiercte und Tätowierte unterrichten
Ein Nasenpiercing da, ein Tattoo dort: Körperschmuck steht bei Lehrpersonen hoch im Kurs. Das hat auch mit dem Lehrermangel zu tun.

Das Wichtigste in Kürze
- Wegen des Lehrpersonenmangels sind Schulen auf Quereinsteigende angewiesen.
- Viele von ihnen stehen mit Piercings und Tattoos vor der Klasse.
- Eine Personalvermittlerin führt dies auf die unkonventionellen Lebenswege zurück.
Ohne Quereinsteigende müssten viele Schulen Kinder wieder nach Hause schicken. Schweizweit stehen deshalb Tausende Lehrpersonen ohne klassische Lehrerausbildung vor den Klassen. So unterschiedlich ihre beruflichen Hintergründe sind, so ausgefallen ist auch ihr Look.
Michèle Nuspel hat zwei Fachhochschulstudiengänge abgebrochen. Aktuell unterrichtet sie an der Schule Pieterlen im Kanton Bern eine erste und zweite Klasse.
Dies tut sie samt Piercing unter der Nase, einem sogenannten Septum-Piercing, und mehreren Tattoos an Armen und Fingern.
Auch Heilpädagogin Jasna Hollenstein geht mit Gesichtsschmuck zur Arbeit. Neben einem Septum-Piercing trägt sie auch ein Oberlippenpiercing. Ihre Arme zieren Tattoos. Dies zeigt ein kürzlich ausgestrahlter SRF-Dok, der Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger begleitete.
«Ganze Klasse fiebert mit»
An einer anderen Schule präsentiert eine Lehrerin der Klasse regelmässig ihren Tattoo-Sleeve. Also Tattoos, die den gesamten Arm bedecken.
«Die ganze Klasse fiebert mit ihr mit und schaut, welches Tattoo neu dazugekommen ist», sagt Angela Jetter zu Nau.ch.

Ihre Angela Works GmbH vermittelt Lehrpersonal an Schulen, ein gefragtes Angebot im aktuellen Lehrpersonenmangel.
Quereinsteigende hätten zum Teil sehr unkonventionelle Lebenswege, stellt Jetter fest. «Viele gingen lange reisen und verewigten etwas auf ihrem Körper.»
Es seien Menschen, die eine Geschichte zu erzählen hätten. Sie kann sich vorstellen, dass Piercings und Tattoos bei Lehrpersonen deshalb immer üblicher geworden sind.
Lehrpersonen können gleich selbst über Tattoos aufklären
Jetter kommt zum Schluss, dass Piercings und Tattoos unter Lehrpersonen ein grosses Thema sind. Nach der Anfrage der Redaktion startete sie in einem Whatsapp-Chat einen Aufruf zum Thema.
«Ich habe damit in ein Wespennest gestochen», sagt sie. Innert Kürze habe sie rund 30 Rückmeldungen erhalten.
«Die Lehrpersonen sind mit ihren Piercings und Tattoos emotional sehr verbunden.» Deshalb sei es ihnen wichtig, damit auch vor der Klasse auftreten zu können.
Laut Jetter ist der Körperschmuck im Unterricht ihren Feedbacks zufolge sogar oft ein Türöffner. «Zum Beispiel, wenn Schüler das Piercing bemerken und dann wissen wollen: ‹Hat es weh getan?›» So ergebe sich schnell ein Gesprächsthema.
In höheren Klassenstufen dienten die Tattoos und Piercings fast der Prävention, sagt Jetter. So komme das Thema im Schulalltag auf.
«Eine tätowierte Lehrerin sagte, dass sie dann aus erster Hand aufklären könne über die Gefahren und dass Tattoos ewig blieben.»
«Sich selber sein können»
Für Jetter steht fest: «Die Schule kann nicht farbig genug sein, um Toleranz zu lernen.»
Ihrer Meinung nach wäre es schlimm, wenn die Lehrpersonen uniform aufträten. «Zudem sollte die Lehrperson sich selber sein können.» Ansonsten wirke sich dies automatisch negativ auf den Unterricht aus.
Im Positionspapier zum Dresscode an Schulen des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) sind Piercings und Tattoos kein Thema.

Beat A. Schwendimann ist beim LCH Leiter Pädagogik. In der Schweiz existierten keine einheitlichen bundesweiten Vorschriften bezüglich Tattoos und Piercings für Lehrpersonen an Schulen, bestätigt er.
Professionalität «entscheidend»
Schulleitungen steht laut Schwendimann ein Weisungsrecht bezüglich der Kleidung und des Erscheinungsbilds von Lehrpersonen zu.
Konkrete Vorgaben würden – wo nötig – auf Schul- oder Gemeindeebene geregelt. Diese müssten verhältnismässig sein und die berufliche Professionalität sichern.
«Entscheidend sind Professionalität, pädagogische Angemessenheit und das Vorbildhandeln am Arbeitsplatz.»
Die Schule Pieterlen, wo Nuspel arbeitet, hat keine verbindlichen Regeln bezüglich Piercings und Tattoos, wie es dort auf Anfrage heisst.
«Vielmehr schauen wir auf die einzelne Lehrperson, welche Fähigkeiten und Ressourcen sie mitbringt und entscheiden weniger über Äusserlichkeiten.»
Lehrer (26) nimmt Nasenring vor Unterricht raus
Trotzdem nehmen manche Lehrpersonen ihre Piercings vor der Arbeit heraus.
Ein 26-jähriger Berner Sekundarlehrer, der anonym bleiben will, ist der Meinung, dass er ohne seinen Nasenring einen professionelleren Eindruck mache. Auch will er verhindern, von Schülerinnen und Schülern darauf angesprochen zu werden, wie er zu Nau.ch sagt.

Eine Zürcherin trug während ihrer Ausbildung zur Primarlehrerin einen Nasenstecker und ein Unterlippenpiercing. Inzwischen habe sie alle Piercings entfernt, sagt die Primarlehrerin.
Auslöser war der Kommentar eines Studienkollegen. «Er sagte, dass es unprofessionell sei, wenn man im Gesicht Piercings habe», sagt sie zu Nau.ch. «Das verunsicherte mich.»
Lehrerin findet Piercing-Kritik «nicht angebracht»
Doch im Nachhinein bereue sie, die Piercings deshalb entfernt zu haben, sagt die Primarlehrerin. «Ich finde, es ist nicht angebracht, andere Menschen auf das Äussere zu reduzieren.»
Mit der Kritik an Piercings könne man sehr verletzen, sagt die 31-Jährige. «Ich finde es schön, wenn man Vielfalt und andere Menschen, so wie sie sind, zulässt und akzeptiert.» Dies bedeute für sie, ein Vorbild zu sein.
«Sowieso sagen Tattoos und Piercings nichts über die Qualitäten einer Lehrperson aus.»













