Immer mehr Kinder werden in die Psychomotorik geschickt
Die Nachfrage nach Therapien für Psychomotorik übersteigt das Angebot. Dabei sieht der zuständige Verband die Therapie nur für gewisse Kinder vor.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Psychomotoriktherapie hilft Kindern mit Überaktivität oder Ungeschicklichkeit.
- In Kantonen boomt das Angebot.
- Ein Sonderpädagogik-Berater bezeichnet den Run auf Psychomotorik als «Megatrend».
Justus und Pascal balancieren in einem Sprungtuch. Nach den Übungen auf dem Parcours trainieren sie ihre Fingergeschicklichkeit, indem sie Tennisball-Mäuse mit Nüssen füttern.
So oder ähnlich läuft eine Therapielektion für Psychomotorik der Stadt Zürich ab.
Psychomotoriktherapien stehen bei immer mehr Kindern auf dem Stundenplan. Die Nachfrage übersteige das Angebot, sagt Simone Reichenau zum «Tages-Anzeiger». Sie ist Co-Geschäftsführerin des Verbands Psychomotorik Schweiz. Dabei empfiehlt der Verband, die Therapie für lediglich drei bis fünf Prozent der Schulkinder anzubieten.
15 Prozent mehr Kinder jährlich
Im Kanton Zürich starteten laut der Zeitung 2024 rund 1500 Schülerinnen und Schüler eine Psychomotoriktherapie. Dies entspricht über vier Prozent, wogegen es im Schuljahr 2023/2024 noch 3,6 Prozent waren.
Der Winterthurer Schulstadträtin Martina Blum (Grüne) zufolge nimmt die Zahl der therapierten Kinder in Winterthur seit drei Jahren zu. Jährlich sind es 15 Prozent mehr. Auch der Kanton Bern verzeichnet in zehn Jahren eine um rund 30 Prozent gestiegene Lektionenzahl.
Die Psychomotoriktherapie ist für Kinder vorgesehen, die motorische oder emotionale Probleme, Verhaltensauffälligkeiten oder Schwierigkeiten in ihren Beziehungen zu anderen haben. Die Therapie unterstützt und fördert die Bewegungsentwicklung. Sie hilft Kindern mit Auffälligkeiten wie Überaktivität oder ausgeprägter Ungeschicklichkeit.
«Auf unebenem Waldboden kaum fortbewegen»
Peter Lienhard, Berater im Bereich Sonderpädagogik, bezeichnet den Run auf Psychomotorik als «Megatrend». Gleich verhalte es sich mit Logopädie und Heilpädagogik.
Er stellt fest, dass etliche Kinder beim Schuleintritt elementare Dinge, sprachlich, fein- oder grobmotorisch, nicht mehr beherrschen. Es gebe Kinder, die sich auf unebenem Waldboden kaum fortbewegen könnten. Dies lerne man nicht im Wohnzimmer am Handy, merkt er an.
In solchen Fällen hält er Psychomotoriktherapie für hilfreich.
Im Therapie-Boom sieht er aber noch einen anderen Grund. Eltern und Lehrpersonen hielten es nur schwer aus, wenn ein Kind nicht optimal funktioniere, sagt er. Lienhard schliesst Übertherapien in Einzelfällen deshalb nicht aus.