Immer mehr Menschen sind auf psychologische Betreuung angewiesen. Wer eine Therapie braucht, landet auf einer Warteliste. Weil die Ausbildung zu teuer ist?
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Die Psychotherapie ist eine Behandlungsform für psychische Störungen und Leiden. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Wartelisten für eine psychotherapeutische Behandlung sind lang.
  • Grund für den Fachkräftemangel: Die psychotherapeutische Weiterbildung kostet enorm.
  • Die «Föderation der Schweizer Psycholog:innen» fordert deshalb deren Subventionierung.
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Erste Studienwoche an der Universität Bern im Bachelor-Studium Psychologie. An einer Einführungsveranstaltung macht der Leiter der Studienberatung folgende Bemerkung:

Die postgraduale Weiterbildung in Psychotherapie (also eine Weiterbildung nach dem Master) sei sehr teuer und aufwendig und deshalb «etwas für Frauen mit reichen Männern». Wie bitte?

Der Satz bleibt vielen der frischen Studierenden bis heute im Gedächtnis. Denn die Weiterbildung ist nötig, um überhaupt therapieren zu dürfen – der Masterabschluss allein reicht nicht.

Der damalige Leiter ist heute laut der Website nicht mehr an der Uni Bern tätig. Aber die Frage stellen sich seither manche Studierende: Verbirgt sich in der Aussage ein Körnchen Wahrheit?

Deutliche Anzeichen für Fachkräftemangel

Florian Näf, Sprecher der «Föderation der Schweizer Psycholog:innen» (FSP), bestätigt gegenüber Nau.ch: «Vereinzelt sind uns Fälle bekannt, in denen Personen aus finanziellen Gründen bewusst auf die Weiterbildung verzichtet haben.» Das sei natürlich fatal, gerade in Zeiten von langen Wartelisten für Therapieplätze.

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In der Psychotherapie herrscht ein Fachkräftemangel – dementsprechend lang sind die Wartelisten für einen Therapieplatz.
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Ein möglicher Grund für den Fachkräftemangel sind die hohen Kosten der psychotherapeutischen Weiterbildung. Diese belaufen sich auf bis zu 90'000 Franken.
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Deshalb fordert die «Föderation der Schweizer Psycholog:innen»: Die psychotherapeutische Weiterbildung soll durch die Kantone subventioniert werden!

Näf bezieht sich auf den bestehenden Fachkräftemangel in der Psychologie. Bereits im Jahr 2016 vermeldete das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) «deutliche Anzeichen für einen Fachkräftemangel». Auch die neusten Zahlen des Seco aus dem aktuellen Jahr unterstreichen das Problem.

Weiterbildung kostet bis zu 90'000 Franken

Ein Zusammenhang mit den immensen Gebühren für die psychotherapeutische Weiterbildung ist nicht auszuschliessen. Psychologinnen und Psychologen fehlen also auch, weil die Weiterbildung zu teuer ist.

Näf unterstreicht: «Die Kosten für die Weiterbildung belaufen sich je nachdem auf bis zu 70'000 Franken pro Person.» Das könnten sich längst nicht alle leisten. Recherchen von Nau.ch zeigen, dass die Weiterbildung gar bis zu 90'000 Franken kosten kann.

Das schreit nach Handlungsbedarf. Näf denkt an finanzielle Hilfe, etwa bei Assistenzpsychotherapeutinnen und -therapeuten. Diese sind in der Ausbildung und therapieren nebenbei. Mit einer «Subventionierung von Weiterbildungsplätzen könnten die Kantone Abhilfe schaffen», so Näf.

Waren Sie schon mal beim Psychologen?

Bei den Ärztinnen und Ärzten in der Psychotherapie ist dies bereits der Fall. Ihre Weiterbildung wird durch die Kantone gefördert. So etwa im Kanton Zürich: Spitäler werden für die ärztliche Weiterbildung in den Fachgebieten Psychiatrie und Psychotherapie mit rund 25'000 Franken entschädigt. Damit sie solche Ausbildungsplätze überhaupt anbieten.

Gleichbehandlung für Psychologinnen und Psychologen

Also wird die Facharztweiterbildung subventioniert – bei den Psychologie-Absolvierenden sieht dies anders aus. Diese Ungleichbehandlung sei «nicht gerechtfertigt», kritisiert Näf.

Deswegen fordert die Föderation: «Künftig soll auch die Weiterbildung von Assistenzpsychotherapeutinnen und -therapeuten subventioniert werden.» Spitäler sollen Beiträge für Weiterbildungsplätze erhalten und sich an den Weiterbildungskosten beteiligen. So wie bei den Assistenzärztinnen und -ärzten, sagt Näf.

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Die Auführung der Psychotherapie ist komplex, anspruchsvoll und bringt eine grosse Verantwortung mit sich. - keystone

Doch auch mit Unterstützung des jeweiligen Kantons können die Kosten hoch sein. Marco Tackenberg, Sprecher des Verbandes der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte, meint: «Aus unserer Sicht braucht es bessere finanzielle und strukturelle Unterstützung für die psychotherapeutische Ausbildung.»

So könne diese zugänglicher gemacht werden und dem Fachkräftemangel entgegenwirken. «Sonst droht sich der Mangel in der psychiatrischen Versorgung weiter auszuweiten», so Tackenberg.

Nur 200 Franken mehr Lohn!

Die momentane Situation lässt zu wünschen übrig – das bestätigt auch die Psychologin Lule F.* gegenüber Nau.ch. Sie sieht sich gerade mit den hohen Ausgaben der Weiterbildung konfrontiert.

Zusätzlich erhöhe sich der Lohn der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten oftmals kaum nach den teuren Kursen. «Nach meiner Weiterbildung verdiene ich nur 200 Franken mehr», so die Bernerin.

* Name der Redaktion bekannt.

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