Eine Gruppe von fünf Kindern bildet die abschliessende Primarschulklasse im Onsernonetal. Die Schule könnte vor dem Aus steht.
Onsernonetal Tessin
Das Onsernonetal im Tessin. (Archivbild) - keystone

Fünf Kinder im Alter von sechs bis sieben Jahren bilden die letzte Primarschulklasse des Onsernonetals. Ziehen in den kommenden Jahren keine kinderreichen Familien ins Tal, dürfte die Schule vor dem Aus stehen. Viert- und Fünftklässler müssen für den Unterricht nach Intragna im Centovalli.

Der Ausblick vom kleinen Schulhaus in Loco ist atemberaubend. An der gegenüberliegenden Talseite ragen steile Berghänge in den tiefblauen Himmel. Weiter oben im Tal leuchtet eine weiss verschneite Bergkuppe.

Zum vielleicht wildesten Tal des Tessins passt das Thema im Schulzimmer: Das Wichtelmännchen. Mit roter Mütze und blauem Gewand schaut es freundlich von der Wand herab. Der «Gnomo», wie es auf Italienisch heisst, ziehe auch bei kaltem Wetter nie eine Jacke an. Ihm reichten zwei übereinandergestülpte Unterhemden, steht da neben der Zeichnung.

Die Kinder in der niveaugemischten Klasse seien sehr gut darin, selbständig zu arbeiten und sich gegenseitig zu helfen, erzählt Lehrerin Laura Leoni. «Es ist ein bisschen wie in einer Familie.» Zudem gebe es durch die Aufteilung in zwei Niveaus viel Zeit für die individuelle Betreuung der Mädchen und Knaben.

Drittklässler gibt es derzeit keine

Die Atmosphäre im Schulhaus in Loco ist heimelig, der Umgangston liebevoll. Heute steht Kopfrechnen auf dem Programm. Ein Schüler ist sehr schnell und kann alle von der Lehrerin vorgegebenen Subtraktionen sofort mündlich lösen. Trotzdem wartet die Gruppe geduldig, wenn jemand weniger rasch und weniger gut rechnen kann.

Weiter oben im Schulhaus werden die Kindergärtner unterrichtet. Sieben Kinder zwischen drei und fünf Jahren bilden den Kindergarten des Onsernonetals. Manche Unterrichtseinheiten werden gemeinsam mit der Primarschulklasse unterrichtet, so etwa eine Lektion zu den verschiedenen Geweiharten von Tieren.

Jene vier im Tal wohnhaften Kinder, welche die vierte und fünfte Primarschulklasse besuchen, müssen jeden Tag nach Intragna im Centovalli fahren. Das ist vom weiter hinten im Tal gelegenen Dorf Russo beispielsweise eine Reise von über 20 Minuten. Drittklässler gibt es derzeit im Onsernonetal keine.

Die Zukunft der Schule in Loco steht schon seit etwa zehn Jahren auf wackeligen Beinen, wie der Direktor der Schulen Terre di Pedemonte Eros Minichiello auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erklärt. Zu den Schulen des Pedemonte gehören das Centovalli und das Onsernonetal.

Gemeinsame Essen gehört zur Erziehung mit dazu

Vor 20 Jahren gab es im bisweilen schroff anmutenden Valle Onsernone noch zwei Schulstandorte; einen in Russo und einen in Loco. Doch dann begann die Entvölkerung und es kamen immer weniger Kinder zur Welt. Ende Dezember 2022 lebten 675 Personen im Tal, 2014 waren es noch 715. Heute sind die Zahlen sind so niedrig, dass schon ein paar Kinder mehr oder weniger ausreichen, um über die Zukunft der Schule zu entscheiden, sagt Minichiello.

Am Mittag essen die Kinder der Primarschule und des Kindergartens zusammen in der Mensa. An diesem Montag steht «Pasta al Pesto e Broccoli» auf dem Menüplan. In der 10-Uhr-Pause kommt der junge Koch mit einem Geschirrtuch über der Schulter hoch ins Schulzimmer und bringt Mandarinli.

Dass die Kleinen bereits im Kindergartenalter nicht mehr für den Zmittag nach Hause gehen, ist im Tessin üblich. Mehr noch: Eine Mensa ist in den Tessiner Kindergärten obligatorisch. Das gemeinsame Essen gehöre zur Erziehung mit dazu, erklärt Lehrerin Leoni.

Situation sollte stabil bleiben

Am Mittag lernten die Kleinen den Tisch zu decken, ihn wieder abzuräumen und Kontakte zu vertiefen. Die Gemeinde muss zwar eine Mensa finanzieren, kann sich dafür aber den Schulbus sparen, der die Kinder am Mittag nach Hause fahren und wieder abholen würde.

In diesem Schuljahr hätten sie Glück gehabt, sagt Laura Leoni. Im letzten Sommer seien zwei deutsche Familien mit je zwei Kindern ins Tal gezogen. Seit jeher ist Valle Onsernone ein Refugium für Menschen aus aller Welt. Von den 675 Einwohnern Ende 2022 waren 58 Ausländer. Im Dörfchen Berzona fand einst Max Frisch jene Inspiration und Abgeschiedenheit, die er suchte.

In den nächsten zwei bis drei Jahren sollte die Situation stabil bleiben, zeigt sich Eros Minichiello überzeugt. Was danach komme, sei jedoch kaum abschätzbar. «Wir müssen abwarten und schauen, wie viele Geburten es in den kommenden Jahren gibt.» Erst dann könne man absehen, ob der Fortbestand der Schule gewährleistet sei.

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