Sexualstrafrecht: Breiterer Begriff von Vergewaltigung gefordert
Gefordert wird grundsätzlich eine Ausweitung des Begriffs «Vergewaltigung» und eine «Nur-Ja-heisst-Ja-Lösung». Die «Nein-heisst-Nein-Lösung» wird verbreitet als zu schwach angesehen. Am Montag ist die Vernehmlassung zum Vorentwurf abgelaufen.
Die Ständeratskommission für Rechtsfragen (RK-S) hatte Anfang Februar vorgeschlagen, den Schutz von Kindern auszuweiten, aber auch mündige Opfer besser zu schützen, indem der neue Straftatbestand des sexuellen Übergriffs eingeführt wird.
Die ausserparlamentarische Eidgenössische Kommission für Frauenfrauen (EKF) fordert in ihrer Stellungnahme eine «Nur-Ja-heisst-Ja-Lösung», die bedeute, dass sexuelle Handlungen nur dann vorgenommen werden dürfen, wenn alle Involvierten damit einverstanden sind, und eine neue Definition der Vergewaltigung.
Die in der Revision vorgeschlagene «Nein-heisst-Nein-Lösung» sei ungenügend. Gemäss dieser Lösung müssten Opfer auch zukünftig darlegen und erklären, ob und inwiefern sie eine sexuelle Handlung abgelehnt haben.
Die EKF fordert, den Tatbestand der Vergewaltigung auszuweiten. Darunter sollen alle sexuellen Übergriffe fallen, unabhängig davon, ob das Opfer genötigt wurde oder nicht. Für die EKF ist es ausserdem unverzichtbar, Vergewaltigung neu geschlechtsneutral zu definieren.
Die Betroffenengruppe, nach eigenen Angaben bestehend aus zehn Mitgliedern, die alle sexuelle Gewalt erfahren haben, fordert ebenfalls eine Neudefinition von «Vergewaltigung».
Folge man der aktuellen Definition, würden viele Erfahrungen von Betroffenen dieser Begriffsdefinition nicht standhalten, heisst es in einer Mitteilung der Gruppe, die mit Unterstützung von Amnesty International zustande kam. Die aktuelle Definition von «Vergewaltigung» führe dazu, dass viel zu wenige Opfer überhaupt Anzeige erstatten.
Bis zu 70 Prozent der Opfer erleben nach Angaben der Betroffenengruppe eine Schockstarre. Die Anforderungen und Herangehensweisen der Justiz stünden jedoch im Widerspruch zu diesen psychologischen Prozessen. Die Justiz verlange in der Regel nach Hinweisen auf Widerstandshandlungen. Die Opfer seien aber während einer Schockstarre nicht in der Lage, Gegenwehr zu leisten.
Amnesty International bedauert, dass für die Straftatbestände in Vergewaltigung und sexuelle Nötigung im Revisionsentwurf weiterhin an einer auf Gewalt/Nötigung und Widerstand basierenden Definition festgehalten werde. Dies widerspreche sowohl wissenschaftlichen Erkenntnissen rund um das Phänomen der Schockstarre als auch internationalen Menschenrechtsnormen wie der Istanbul-Konvention.
Artikel 189 (Sexuelle Nötigung) solle dahingehend geändert werden, fordert Amnesty, dass er sexuelle Handlungen abdeckt, die sich von Beischlaf unterscheiden, und sicherstellt, dass die Definition auf fehlender Einwilligung basiert. Die Menschenrechtsorganisation fordert zudem, «Sexueller Übergriff» aus dem Vorentwurf zu streichen, um die Hierarchisierung von Vergewaltigungsopfern zu vermeiden.
Auch die SP Frauen fordern ein grundlegendes Umdenken in der Sexualstrafrechtsrevision. Der Gesetzesentwurf sei ungenügend und enttäuschend. Sex ohne Zustimmung sei als Vergewaltigung anzuerkennen und zwar unabhängig von Geschlecht und Körper der betroffenen Person.
Auch die Grünen und die Grünliberalen fordern den Wechsel zur Zustimmungslösung («Nur-Ja-heisst Ja»). Der Revisionsentwurf genüge noch nicht der Istanbul-Konvention, bemängeln die Grünen.
Und die Grünliberalen betonen: Wichtig sei auch, dass der Zugang zu den Polizei- und Justizbehörden für Opfer von sexueller Gewalt und Übergriffen so niederschwellig wie möglich ausgestaltet wird. Viele Frauen würden aus Angst, nicht ernst genommen zu werden, keine Strafanzeige erstatten.
Aus Sicht der SVP ist die Vorlage grundsätzlich unterstützungswürdig. So sei beispielsweise die Sanktionierung schwerer Übergriffe als blosse sexuelle Belästigung für die SVP nicht tragbar. In einigen Punkten müsse die Vorlage jedoch klar überarbeitet werden, heisst es auf der Internetseite der Partei.
Die Schaffung des neuen Grundtatbestands der sexuellen Übergriffs dürfe nicht zu einer Umkehr der Beweislast führen beziehungsweise zu einer Verletzung der Unschuldsvermutung. Ebenfalls sei es gerade bei einer Revision des Sexualstrafrechts notwendig, die Probleme bei der Beweisführung sowie durch Falschbeschuldigungen zu berücksichtigen.
Von der FDP, der Mitte-Partei und den Grünen stand eine Reaktion bis Montagmittag aus. Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) verzichtet auf eine Stellungnahme zum Vorentwurf für eine Revision des Sexualstrafrechts.