Blatten VS: Geograf plädiert nach Bergsturz für Wiederaufbau
Wird Blatten nach dem verheerenden Bergsturz wiederaufgebaut? Ein renommierter Geograf hofft es – der Schweizer Identität zuliebe.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Wiederaufbau von Blatten VS ist aus Sicht des Geografen Werner Bätzing sinnvoll.
- Gegenargumente wie die Kosten oder die Gefahr halten nicht stand, sagt der Experte.
- Land- und Berggemeinden seien unerlässlich, es drohe sonst der Verlust der Heimat.
Das Walliser Dorf Blatten wurde letzte Woche Opfer eines Bergsturzes. Nach dem aussergewöhnlichen Ereignis ist von der Ortschaft im Lötschental nichts mehr zu sehen.
Wars das mit Blatten?
Nein, sagt etwa Talratspräsident Christian Rieder bei SRF: «Ich bin klar der Meinung, dass Blatten – unter den richtigen Voraussetzungen – eine neue Chance bekommen muss. Der Wiederaufbau muss aber innerhalb eines raumplanerischen Rahmens erfolgen, unter Einbezug aller bekannten Naturgefahren. Die Sicherheit steht an erster Stelle.»
Wahrscheinlich sei, dass Blatten an einem anderen Ort «neu entsteht», so Rieder. «Wir müssen genau prüfen, wo unter welchen Bedingungen ein Wiederaufbau möglich ist. Der Schuttkegel könnte begrünt werden.»
Nicht alle sind jedoch der gleichen Meinung wie der Talratspräsident. Gegenstimmen finden, es sei zu gefährlich und zu teuer.
Experte: Nirgends hundertprozentige Sicherheit
Aus Sicht des renommierten Geografen Werner Bätzing ist es das aber nicht. Der Deutsche promovierte und habilitierte in Bern und ist emeritierter Professor für Kulturgeografie. Für ihn sind Bergdörfer und Landgemeinden ein sehr wichtiger Teil des Landes.
«Ich bin prinzipiell der Meinung, dass es sinnvoll ist, die Siedlung Blatten in der Nähe wieder aufzubauen», sagt er im Interview mit dem «Tages-Anzeiger».
Die Gegenargumente – Gefahr und Kosten – hielten für ihn beide nicht stand.
Zur angeblich zu grossen Gefahr sagt Bätzing: «Wir können beobachten, dass alle Dörfer, die vor 1955 entstanden sind, typischerweise an sicheren Orten liegen. Erst dann setzte sich nämlich das Gefühl durch, man habe alles technisch im Griff. Früher verliess man sich auf Erfahrung und Tradition. Deshalb sind die meisten alten Siedlungskerne nicht das Problem.»
Der Bergsturz bei Blatten sei ein einmaliges Ereignis. «Prinzipiell gilt, dass es nirgends und nie eine hundertprozentige Sicherheit vor Naturgefahren gibt. Auch nicht im Flachland und in den Städten.»
Der Experte findet, es sei «völlig unrealistisch», nur Standorte mit hundertprozentiger Sicherheit zu besiedeln. Blatten könne man weiter oben aufbauen, «jenseits des Gefährdungsgebietes».
«... dann würde die helvetische Identität zerstört»
Wäre das aber nicht zu teuer? Bätzing verneint. Es sei falsch, das Geld lieber für Metropolitanregionen auszugeben zu wollen.
«Wenn der Mensch sich bloss noch auf die Verdichtungsräume konzentriert, wird er heimatlos in der Welt. Er verliert seinen Bezug zu Natur, Geschichte und Tradition. Gäbe es nur noch die Grossstadt, die Agglo und eine sogenannte alpine Brache, dann würde die helvetische Identität zerstört.»
Der Mensch drohe so wurzellos zu werden.
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Über funktionierende Land- und Berggemeinden werde man eines Tages froh sein, sagt der renommierte Geograf. Er sieht Berggebiete als einen Überlebensort in einer sich anbahnenden globalen Krise.
Bätzing: «Das sind die Flächen, auf denen man wirtschaften und leben kann, wenn die globalen Wirtschaftskreisläufe zusammenbrechen – ganz wichtige Reserveflächen, die man für diesen Notfall dringendst braucht. Deswegen ist es aus meiner Sicht so wichtig, im Alpenraum die noch vorhandenen Kulturlandschaften unbedingt zu pflegen, sogar wieder auszuweiten.»
Gemeinnütziger Wohnraum oder ein neues Blatten?
Der Experte findet mitunter deshalb, dass Blatten eine zweite Chance kriegen sollte. «Wenn die Einheimischen, die Naturkatastrophen ja kennen, bereit sind für einen Wiederaufbau von Blatten, dann finde ich das nachvollziehbar und richtig.»
Das sei dann auch die Aufgabe des Staats, der für alle gleichermassen zu sorgen habe. «Jeder Mensch hat das Recht, in seiner Heimat im Staatsgebiet zu leben.»
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Liesse sich mit dem Geld nicht besser gemeinnütziger Wohnungsbau für Bedürftige subventionieren? Bätzing sagt Nein, denn «dieses Aufwägen vom Glück der grössten Zahl versus das Glück der wenigen geht immer gegen die Peripherieregionen».
Der Geograf fügt an: «Die Debatte darüber, ob es das Geld wert ist, gibt es in dieser Form im Alpenraum nur in der Schweiz.»