Bauarbeiter: Habe schon jetzt «keine Zeit für Familie»
Im beheizten Büro sitzen, wenn es draussen kalt und nass ist – das kennen Bauarbeiter nicht. Die Arbeitsbedingungen sind hart. Und sollen noch härter werden.
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Das Wichtigste in Kürze
- Der Baumeisterverband will Bauarbeiter im Sommer länger arbeiten lassen.
- Das passt den Arbeitern nicht – so hätten sie zwölf- bis 13-stündige Arbeitstage.
- Sie wiederum fordern kürzere Arbeitstage und eine Zulage an die Znünipause.
In der Baubranche brodelt es. Das zeigte sich erneut vor wenigen Tagen – 2500 Bauarbeiter gingen in Zürich auf die Strasse.
Hintergrund: Die harzigen Verhandlungen zum neuen Landesmantelvertrag, einem Gesamtarbeitsvertrag, der unter anderem Mindestlöhne und Arbeitszeiten regelt.
Die Verhandlungen laufen seit Juli, doch die Fronten scheinen zunehmend verhärtet. Auf der einen Seite fordern Bauarbeiter kürzere Arbeitstage, einen gesicherten Teuerungsausgleich, bezahlte Reisezeit und eine Znünipausen-Zulage.
Dem Baumeisterverband auf der anderen Seite passen die Forderungen gar nicht. Er verlangt stattdessen längere Arbeitstage, mehr als doppelt so viele Überstunden, Arbeit auf Abruf und eine sechs-Tage-Woche.
Betroffen sind laut der Gewerkschaft Unia über 80'000 Bauarbeiter, «die tagtäglich unter härtesten Bedingungen unsere Häuser, Strassen und Infrastruktur bauen».
Bauarbeiter (50): «Es bleibt keine Zeit für die Familie»
Einer von ihnen ist Vorarbeiter Nasuf. Auf einer Zürcher Baustelle sagt er zu Nau.ch, ein grosses Problem sei: «Wir haben zu wenig Personal.»
Fehlen zwei, drei Leute, müssen die Verbliebenen auch deren Arbeit übernehmen. Die Folge: «Wir haben Stress.»

Die Aussicht, dass seine Arbeitstage noch länger werden könnten, belastet ihn. Schon jetzt kommt für ihn die Freizeit zu kurz, wie der 50-Jährige sagt. «Es bleibt keine Zeit für die Familie.»
Denn: «Um 4 Uhr morgens stehe ich auf, um 5 gehe ich aus dem Haus. Um 19 Uhr abends bin ich zurück.» Für ihn ist darum klar, «wir brauchen etwas mehr Zeit für die Familie!»
Was Nasuf erlebt, ist kein Einzelfall, wie Unia-Sprecherin Nicole Niedermüller zu Nau.ch sagt.
«Auch Bauarbeiter wollen ihre Pflichten als Familien- oder Grossväter wahrnehmen und Zeit mit ihrer Familie verbringen. Geht es nach den Forderungen des Baumeisterverbands, ist dies schlichtweg nicht mehr möglich!»
Baumeister-Forderungen sind für Bauarbeiter «Katastrophe»
Vorarbeiter Nasuf nennt die Forderungen eine «Katastrophe». «Schon jetzt haben wir die Zeit mit der Familie nicht – aber nachher wäre es noch schlimmer.»
Neben den kürzeren Arbeitszeiten verlangt er, dass die Baumeister bei der Arbeitsverteilung auch den Wohnort der Bauarbeiter berücksichtigen.
Er selbst wohnt nahe von Rapperswil SG, wurde aber auf eine Baustelle in Zürich geschickt, statt auf eine in Rapperswil. Sein Chef «rechnet nicht, dass ich zwei Stunden hin und her reisen muss».
13-Stunden-Arbeitstage drohen
Der Baumeisterverband relativiert auf Anfrage von Nau.ch. Sprecherin Jacqueline Theiler betont, dass die Jahresarbeitszeit unverändert bleiben soll – bei durchschnittlich 40,5 Stunden pro Woche.

Die Unia lügt jedoch nicht, wenn sie sagt, die Baumeister würden längere Arbeitstage fordern. Denn: Sie sehen Überstunden im Sommer vor – damit wären die Arbeitstage de facto zwölf bis 13 Stunden lang.
Der Baumeisterverband argumentiert, dass die Arbeiter so über längere Zeit Mehrstunden sammeln könnten. Diese Möglichkeit – die es aktuell nicht gibt – würde «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» verbessern.
Baumeister: Arbeiter verdienen 5000 Franken ohne Ausbildung
Zum Thema Löhne sagt Theiler vom Baumeisterverband: «Seit 2019 sind die Löhne im Bauhauptgewerbe um insgesamt 7,5 Prozent gestiegen. Die Teuerung betrug im selben Zeitraum 6,5 Prozent», sagt Theiler.
Die Kaufkraft der Bauarbeiter ist also gestiegen.

Ein Hilfsarbeiter ohne Berufsabschluss erhalte rund 5000 Franken im Monat, 13-mal im Jahr. Und ausgebildete Maurerinnen und Maurer würden durchschnittlich 6000 Franken im Monat verdienen.
Baumeisterverband fordert Lohngespräche – Gewerkschaft warnt
«Der Mindestlohn soll künftig automatisch an die Teuerung angepasst werden», sagt Theiler. Aber: Es soll auch die Entscheidung der Betriebe sein, welche Löhne effektiv bezahlt würden.
Genau diese Forderung stösst der Unia aber sauer auf. «Das würde dazu führen, dass die Löhne schlechter würden», ist Gewerkschafts-Sprecherin Nicole Niedermüller überzeugt.
Denn: Sässen ein erfahrener Baumeister und ein Arbeiter am Verhandlungstisch, sei der Baumeister meist am längeren Hebel.
«Ein grosser Teil der Bauarbeiter kommt aus dem Ausland. Viele haben noch wenig Wissen über das Lohnniveau in der Schweiz, Deutsch ist selten die Muttersprache.»

Wie die Verhandlungen am kommenden Dienstag weitergehen, wird sich zeigen. Feststeht: Können sich die Parteien nicht bis Ende Jahr einigen, herrscht zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt ein vertragsloser Zustand.













