Die Gesellschaft muss sich nach den Neuigkeiten aus China mit der Frage auseinandersetzen, wie die Genmanipulation am Menschen gehandhabt werden soll.
He Jiankui bei der Präsentation seiner Forschung.
He Jiankui sorgte in der ganzen Welt für Aufruhr, als er behauptete, die ersten genmanipulierten Menschen «erschaffen» zu haben. - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • He Jiankui gab an, die ersten genmanipulierten Menschen geschaffen zu haben.
  • Somit muss sich die Menschheit mit der Genmanipulation auseinandersetzen.
  • Da die technischen Möglichkeiten da sind, lässt sich die Entwicklung kaum aufhalten.

Die Angst vor genetisch optimierten Menschen ist Jahrzehnte alt. Mit der Nachricht von genmanipulierten Babys in China muss sich die Gesellschaft nun ganz konkret damit auseinandersetzen. Die Entwicklung wird sich kaum aufhalten lassen, befürchtet eine Bioethikerin.

Die beiden chinesischen Mädchen, die nur unter ihren Pseudonymen «Lulu» und «Nana» bekannt sind, werden in die Geschichtsbücher eingehen. Der chinesische Forscher He Jiankui veränderte mit dem Gentechnikverfahren «Crispr/Cas9» ihr Erbgut im frühen Embryonalstadium, um sie resistent gegen HIV zu machen. Sie sind die ersten genmanipulierten Menschen.

Eingriff in die Evolution

«Man muss sich Gedanken darüber machen, wie man mit diesem Eingriff in die Evolution umgehen will», sagt Susanne Driessen, Päsidentin von Swissethics, dem Dachverband der Ethikkommissionen für die Forschung am Menschen, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Erbgutmanipulationen am Embryo sind deshalb speziell, weil sie auch an nachfolgende Generationen weitergegeben werden.

«Wie kann man den Genpool der Menschheit schützen? Will man ihn unverfälscht bewahren, müsste man konsequenterweise genmanipulierten Menschen wie Lulu und Nana untersagen, selbst Kinder zu bekommen», so die Medizinerin und Bioethikerin Driessen.

Technische Möglichkeit ist da

Und was, wenn die «Erbgutchirurgie» mithilfe der Genschere Crispr/Cas9 doch mehr und mehr an menschlichen Embryos zum Einsatz kommt? «Man darf es nicht von vorneherein zu 100 Prozent ausschliessen», sagt Driessen. «Die technischen Möglichkeiten sind da. Das lässt sich auch kaum aufhalten: Was einmal gedacht ist, kann nicht mehr zurückgenommen werden, wie es in Dürrenmatts 'Die Physiker' heisst.»

Die Frage bleibt, unter welchen Bedingungen man solche Eingriffe überhaupt gutheissen könnte. «Man muss klar unterscheiden, ob das Ziel eines solchen Erbguteingriffs ist, eine schwere Erbkrankheit zu umgehen, oder ob es darum geht, dem Nachwuchs einen Vorteil zu verschaffen, also ein 'Enhancement'», so Driessen.

Medizin oder Enhancement?

«Wer soll künftig entscheiden, ob ein Erbguteingriff gerechtfertigt ist und wo die Grenze zwischen medizinischer Notwendigkeit und Enhancement verläuft?», fragt Driessen.

Einfach wird es sicher nicht, diese Lösungen zu finden. Immerhin hatte die Gesellschaft bereits mehrere Jahrzehnte Zeit, über die Möglichkeit von genmanipulierten Menschen nachzudenken. Nach dem Tabubruch in China müssen die Überlegungen nun konkreter werden.

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