Kanton Bern ersetzt «AppElle!»-Hotline – Betreiberinnen ratlos

Sina Barnert
Sina Barnert

Bern,

Seit 2019 gibt es «AppElle!» im Kanton Bern. Die Hotline betreut Frauen und Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Nun will der Kanton sie ersetzen.

AppElle!
Will die «AppElle!»-Hotline gegen Gewalt an Frauen ersetzen: der Kanton Bern. - keystone / pexels

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Hotline «AppElle!» betreut von häuslicher Gewalt betroffene Frauen und Kinder.
  • Nun wird das Projekt per Ende Oktober 2025 vom Kanton Bern ersetzt.
  • Nur: Die Gründe dafür treffen gar nicht zu, so die «AppElle!»-Initiantinnen.

Allein im ersten Halbjahr 2025 gab es bis anhin 18 Femizide – also Tötungen von Frauen – in der Schweiz.

Zuvorderst in der traurigen Femizid-Statistik rangiert der Kanton Bern. Bereits vier Frauen mussten 2025 im Kanton wegen ihres Geschlechts ihr Leben lassen.

Um solche Gewalttaten zu verhindern, ratifizierte die Schweiz 2017 die Istanbul Konvention. Diese soll gewährleisten, dass Frauen und Kinder besser vor Gewalt geschützt werden.

«AppElle!» leistet niederschwellig Hilfe

In Zuge dessen ist auch eine nationale 24-Stunden-Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt vorgesehen. Diese soll im November 2025 aufgeschaltet werden.

Die «Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern» und «Solidarité femmes» wollten nicht so lange warten. 2019 gründeten sie zusammen ein entsprechendes Pilotprojekt.

Muss mehr gegen häusliche Gewalt getan werden?

Sie riefen die Telefonlinie «AppElle!» gegen häusliche Gewalt ins Leben: eine 24-Stunden erreichbare Anlaufstelle, betrieben von Mitarbeiterinnen der Berner Frauenhäuser. Diese leistet unkompliziert, niederschwellig Hilfe – aus einer Hand.

«Verliert man Zeit, verliert man Vertrauen»

Statt das bewährte Pilot-Modell zu übernehmen, wird die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) des Kantons das Projekt ersetzen.

Sie hat sich für ein anderes Modell entschieden. Dieses sieht vor, die Telefonlinie zu Bürozeiten von der «Opferhilfe Bern» betreuen zu lassen. Ausserhalb dieser Zeiten soll die «Dargebotene Hand» das Telefon übernehmen.

Ein No-Go für das «AppElle!»-Team. Dieses neue Modell sei für Betroffene weniger niederschwellig.

Denn diese müssten ihre Geschichte so nicht nur ein-, sondern gleich zwei- oder dreimal erzählen. So gehe wertvolle Zeit verloren.

Zudem sei fach- und frauenspezifische Beratung und eine lückenlose Dokumentation der Vorfälle mit dem neuen Modell nicht gewährleistet. Und: Die «Opferhilfe Bern» müsse zuerst eine aufwändige Zusammenarbeit mit den Frauenhäusern im Kanton aufbauen.

Das sei fatal, erklärt Silvia Gabriel, Beraterin bei «AppElle!», gegenüber Nau.ch: «Verliert man Zeit, verliert man Vertrauen.»

GSI findet «AppElle!» «wenig geeignet»

Das sieht man im GSI offenbar anders. Grund dafür, die ursprüngliche Hotline nicht weiter zu nutzen: «Dem Kanton Bern erschien das Angebot von ‹AppElle!› wenig geeignet.»

Hast du schon mal häusliche Gewalt erlebt?

Mediensprecher Gundekar Giebel präzisiert gegenüber Nau.ch: «Dies in Bezug auf die Telefonabdeckungszeiten sowie die veranschlagten Kosten. Und auf die bestehende Einschränkung auf weibliche Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt

Es gebe beispielsweise keine Männerberatungen. Zudem keine Beratung von anderen Gewalt- und Unfallopfern.

Gründe des Kantons entsprechen nicht der Wahrheit

Diese Aussagen des Kantons lösen beim «AppElle!»-Team Unverständnis aus.

Silvia Gabriel erklärt: «Uns kann man 24 Stunden lang erreichen – jeden Tag. Es ist schlicht und einfach nicht wahr, dass unsere Telefonzeiten nicht ausreichend sind.»

Auch die Aussagen zum Thema Männerberatung sind fraglich. «Es stimmt, dass wir zurzeit keine Männerberatung anbieten. Aber bis anhin gehörte das auch nicht zu unserem Aufgabenbereich.»

Es wäre ohne Weiteres möglich gewesen, den Auftrag bei «AppElle!» auszubauen. Und die Mitarbeiterinnen – wenn nötig – auf dem Gebiet weiterzubilden, so Gabriel.

Nur: «Der Kanton hat diese Möglichkeit nicht in Betracht ziehen wollen.»

«Es ist für uns nicht nachvollziehbar, warum sich der Kanton für das neue Modell entschieden hat», so Gabriel. Dies vor allem wegen der offensichtlich nicht zutreffenden Begründungen, welche die GSI anführe.

Besorgt, dass die «Gefährdung steigt»

Statt nun aber gegen die neue Lösung des Kantons zu schiessen, bereitet das «AppElle!»-Team eine reibungslose Übergabe vor.

Man wolle alles daran setzen, das neue Modell des Kantons sorgfältig zu analysieren. Und von der GSI gegebenenfalls Anpassungen zu fordern.

Denn oberste Priorität habe die Sicherheit der Frauen, die nach Hilfe suchen würden.

Dazu meint die «AppElle!»-Beraterin: «Wir machen uns Sorgen, dass durch die neue Notrufnummer die Hürden für Betroffene massiv höher werden. Und schlimmstenfalls ihre Gefährdung steigt.»

Mehr zum Thema:

Weiterlesen

Femizid Epagny FR
Femizid in Egerkingen
häusliche Gewalt
12 Interaktionen
Gastbeitrag
Frauenhaus
19 Interaktionen
Handy verrät Standort

MEHR AUS STADT BERN

Im September
SBB
168 Interaktionen
Bern-Freiburg
SRG
8 Interaktionen
Sitzwechsel