Wer Missbrauch-Opfern vor Gericht beisteht
Vergewaltigte Frauen, misshandelte Kinder, ab und zu Männer: Seit 2017 haben besonders schutzbedürftige Opfer einen gesetzlichen Anspruch auf psychosoziale Begleitung bei Prozessen.

Das Wichtigste in Kürze
- Zwei Stressbälle zum Kneten hat Claudia Robbe immer mit dabei, wenn sie in einen Prozess geht.
Einen gelben, weichen und einen blauen, harten. «Es hilft, etwas in der Hand zu haben», sagt Robbe. Die Bälle sind für Menschen, die vor Gericht als Zeuge aussagen und meist vorher Opfer von Straftaten waren.
Robbe ist psychosoziale Prozessbegleiterin und steht ihnen zur Seite. Neben den Bällen habe sie immer auch eine Packung Taschentücher parat. «Sie wollen ja stark sein und glauben, sie weinen nicht vor Gericht.»
Kinder hätten oft auch ein Kuscheltier, einen Schlüsselbund oder etwas anderes Persönliches in der Hand, erzählt Robbe. Jeder müsse seinen eigenen Weg finden, mit der belastenden Situation umzugehen. Im Zentrum eines Gerichtssaals auszusagen. Vor den Augen des Peinigers. «Manche machen zu», sagt die Diplomsozialpädagogin - sie schliessen dann die Augen. Andere brauchten eine Pause zum Rauchen, zum Durchatmen am offenen Fenster oder müssten einmal laut schreien. «Eine Frau hat mal auf der Toilette einfach gebrüllt.»
Seit 15 Jahren mache sie den Job, erzählt Robbe, sie habe sich bundesweit auf organisierte Kriminalität wie Menschenhandel spezialisiert. In der Region Karlsruhe, aber auch an anderen Gerichten im Land hilft sie zudem vergewaltigten Frauen, Männern nach einem Mordversuch, misshandelten Kindern oder solchen, deren Vater umgebracht wurde.
Besonders schutzbedürftige Opfer haben seit 2017 einen gesetzlichen Anspruch auf Begleitung vor, während und nach der Hauptverhandlung. Für minderjährige Opfer von Sexual- und Gewaltdelikten gilt das immer. Aber auch erwachsene Opfer von besonders schweren Gewalt- oder Sexualstraftaten können einen Anspruch haben.
Hier liege es teils im Ermessen des Richters, ob er beispielsweise einer erwachsenen Frau nach einer Vergewaltigung den Beistand gewährt, sagt Christian Veith, Fachbereichsleiter Zeugen- und Prozessbegleitung bei PäventSozial des Vereins Bewährungshilfe Stuttgart. «Der eine Richter sagt sofort, die Frau ist schutzbedürftig, der andere will erst fünf Atteste.»
PräventSozial koordiniert die rund 80 anerkannten psychosozialen Prozessbegleiter in Baden-Württemberg. Die Zahl reiche, wie so oft sei aber die Verteilung ungleich: «In Stuttgart und Karlsruhe gibt es genügend, aber ländlicher Raum ist ländlicher Raum», sagt Veith. Nach Ravensburg oder Mosbach führen Kollegen teils weite Strecken.
Aufgabe der Prozessbegleiter ist es, den Betroffenen die Abläufe eines solchen Verfahrens zu erläutern. Angefangen dabei, wie lange ein Ermittlungsverfahren dauert und dass es am Ende auch eingestellt werden kann. Bis hin zur Frage, was das Urteil genau bedeutet, was Bewährung ist und welche Rechtsmittel es gibt.
Auch besuche sie vorab den leeren Gerichtssaal und erkläre zum Beispiel, wer wo sitzt, sagt Robbe. Für Kinder arbeitet sie mit einer extra zusammengestellten Playmobil-Kollektion - die Figuren, die die Richter sein sollen, haben sogar selbstgenähte Roben bekommen.
Es gehe darum, «den fremden Raum zu erobern», erklärt Veith. Als Zeuge sitze man genau im Mittelpunkt, alle guckten einen an. «Da sollte man sich vorher mal hineinspüren.» Auch wähle der Begleiter seinen Platz meist so, dass er zwischen dem Opfer und dem mutmasslichen Täter sitzt - gewissermassen als Puffer oder Sichtschutz.
«Wir haben die Angewohnheit, Menschen anzugucken, die mit uns sprechen», sagt Robbe. Wenn ein Dolmetscher benötigt wird, sitze der daher meist so, dass das Opfer vom Täter weg guckt. Aber spätestens, wenn der aussagt, «wandert der Blick». Dass manche Zeugen deutlich Emotionen zeigen, sei okay. Das merkten ja auch Richter und Schöffen.
«Unsere Klienten sind alle», sagt Veith und macht deutlich: «Opfer kann jeder werden.» Für Kinder wie Senioren müsse es die passende Ansprache geben. Als Beispiel nennt er, wie man Kindern erklärt, was ein Staatsanwalt ist. «Der kommt beim Räuber-und-Gendarm-Spielen einfach nicht vor.» Menschen mit Migrationshintergrund hätten wieder andere kulturelle oder sprachliche Probleme.
Robbe sagt, für ihre Arbeit sei auch das Netzwerk wichtig. So habe eine Frau aus Afrika mal ihre Schwester als Unterstützung gebraucht. Über Kontakte zur Botschaft konnte sie ein Visum organisieren, andere Opferschutzvereine hätten der Frau die Flüge bezahlt.
Veith kritisiert, dass etwa Fälle häuslicher Gewalt kein Grund für Prozessbegleitung seien. Auch sei die Vergütung der Arbeit zu gering. Je nachdem, wann ein Begleiter hinzugezogen wird, gibt es während der Ermittlung 520 Euro pauschal, für das Gerichtsverfahren 370 Euro und wenn Rechtsmittel eingelegt werden 210 Euro. Alleine der Aufwand für Hauptverfahren betrage aber im Schnitt acht bis zehn Stunden.
Das Bundesjustizministerium hat Anfang des Jahres Erfahrungen zusammengetragen: «Die Resonanz aus Ländern und Verbänden ist durchweg positiv.» Für die Strafverfahren sei es gut, wenn Betroffene vorbereitet sind und es ihnen leichter fällt, vor Gericht auszusagen.
Allerdings gebe es in der Praxis noch eine gewisse Zurückhaltung bei der Beiordnung der Prozessbegleitung. Hier könne mehr Werbung bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten gemacht werden. Auch wolle man mögliche Verbesserungen etwa bei weiteren Delikten und der Bezahlung prüfen. Das läuft nach Angaben einer Sprecherin noch. «Ein Zeitplan für die Umsetzung kann daher noch nicht mitgeteilt werden.»
Wichtig ist die Trennung zwischen Prozessbegleitung und Therapie. «Wir sprechen nie über den Tathergang und fragen niemals nach», sagt Veith. Ansonsten könnte das womöglich als Beeinflussung gewertet werden. Das sei aber für die Betroffenen in der Regel kein Problem, sagt auch Robbe. «Die haben ihre Geschichte schon zigmal erzählt.»
Die Details erfährt Robbe dann oft erst vor Gericht. Grausame Taten sind dabei von Gewaltausbrüchen oder Misshandlungen zum Beispiel. Sport helfe ihr als Ausgleich und Gespräche mit Kollegen. Ungern mache sie nur Fälle mit Kindern, die im Alter ihrer eigenen sind.