Mit der Coronakrise erleben Verschwörungstheorien massiven Zulauf. Mit Gegenbeweisen lassen sich ihre Anhänger nicht überzeugen. Ein Experte erklärt, wieso.
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Menschen demonstrieren in Altdorf UR gegen die Maskenpflicht. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Seit Beginn der Corona-Pandemie gibt es immer wieder Proteste gegen verordnete Massnahmen.
  • Die meisten Protestler sind Anhänger von Verschwörungstheorien.
  • Sie sind mit rationalen Argumenten nicht mehr zu erreichen.
  • Der Glaube an wilde Verschwörungstheorien ist eine Art Selbstschutz, erklärt ein Experte.

Die Reichen und Mächtigen lügen und manipulieren, um ihre Privilegien halten zu können und den normalen Bürgern ihre Rechte zu nehmen. Das ist das typische Verschwörungs-Narrativ, an das auch Corona-Leugner glauben.

Michael Butter, Amerikanist an der Universität Tübingen (D) und Experte für Verschwörungstheorien, erklärt, was in den Köpfen der Verschwörer vorgeht.

Corona-Leugner sieht Butter als solche. Denn: «Sie sind mit rationalen Argumenten nicht zu erreichen», sagt der Professor in einem Interview mit dem «Spiegel». Die Protestler würden zudem offen zeigen, dass sie Covid für eine Erfindung oder eine masslos überzeichnete Gefahr halten.

Irrglauben als Selbstschutz

Der Glaube daran, die Pandemie sei eine Lüge oder das Coronavirus sei ungefährlich, reiht sich ein in eine Reihe altbekannter Verschwörungen: Die Mondlandung war ein Fake, die Erde ist flach und der 11. September von der US-Regierung selbst orchestriert.

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Eine Frau hält ein Transparent mit der Aufschrift «Die Pandemie der Lügen» in die Luft. - Keystone

Und der Irrglaube endet nicht bei den Anschlägen auf die Twin Towers oder wilden Corona-Theorien. Erst kürzlich wurde ein Mann in einer Fernsehdokumentation gezeigt, der glaubt, dass die Elite das Blut von Kindern trinken würde. Dass solch wilde Theorien in einer aufgeklärten Welt noch Anhänger finden, mag erstaunen.

Doch: «Sie sind weniger verwunderlich, als auf den ersten Blick scheint.» In unserer Gesellschaft müsse man die Einsicht ertragen, dass es für viele Fragen und Probleme nie Antworten und Lösungen geben wird. «Solche Unsicherheiten liegen nicht jedem.»

Michael Butter
Michael Butter ist Amerikanist an der Universität Tübingen (D) und Experte für Verschwörungstheorien. - Universität Tübingen

Michael Butter erklärt weiter: «Die Theorien bestätigen die eigene Weltdeutung – und entlassen einen aus der Verantwortung. Wer die Gefahr, die von Corona ausgeht, für überzeichnet hält, muss sich weder an die neuen Regeln halten noch um seine Gesundheit oder seine Angehörigen fürchten.»

Gegenbeweise bringen nichts – im Gegenteil

Wer schon einmal mit einem Verschwörer diskutiert hat weiss: Mit Logik und Beweisen lässt sich das Gegenüber nicht so schnell überzeugen. Die Politik kann also kaum etwas tun, um diese Menschen zurückzugewinnen. «Wir wissen aus einer Reihe von Studien, dass überzeugte Anhänger irrationaler Ideen noch stärker daran glauben, wenn man Gegenbeweise vorlegt», sagt der Experte.

«Allenfalls können Familienmitglieder oder Freunde ein Umdenken bewirken.» Was also tun, wenn der Onkel oder die Schwester plötzlich an wirre Theorien glaubt? Butter erklärt: «Sie sollten fragen, warum der andere an all diese Dinge glaubt, dürfen dabei aber nicht amüsiert, wütend oder irritiert wirken.»

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Anhänger von Verschwörungstheorien lassen sich nicht mit Gegenbeweisen erreichen. - Keystone

Im Idealfall könne diese Offenheit eine Selbstreflexion in Gang setzen. «Es ist ein langer, oft erfolgloser Prozess, aber es ist sinnvoll, Initiativen zu unterstützen, in denen Angehörige solche Strategien lernen können.»

Was 5G-Gegner und Corona-Leugner zusammenbringt

Auch Rechte, 5G- und Impfgegner mischen bei Corona-Protesten mit. Was sie mit den Virus-Leugnern gemein haben: «Sie haben dieselben Schuldigen ausgemacht. Sie würden am liebsten die repräsentative Demokratie abschaffen, in der das Volk nicht auf direktem Weg mitentscheidet.»

Der Experte ist der Meinung, dass ein Viertel bis ein Drittel aller Deutschen empfänglich für Verschwörungstheorien sind. Ob von dieser Minderheit eine Gefahr für die Demokratie ausgehe, sei schwer einzuschätzen, so Butter.

«Die aktuellen Demonstrationen bergen ein enormes Aktivierungspotenzial.» Es sei aber beruhigend, wenn es wie vor zwei Wochen in Berlin nicht mehr als 38'000 Teilnehmer waren. «Und ich denke auch eher nicht, dass rechte Gruppierungen wie die Reichsbürger diese Szene kapern werden.»

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