Den zweiten Tag in Folge eskalierten gestern Abend die Corona-Demos in Belgrad. Der serbische Botschafter in der Schweiz verteidigt die Regierung.
Coronavirus - Proteste in Serbien
Demonstranten versammeln sich vor dem serbischen Parlament und protestieren gegen die Ankündigung des serbischen Präsidenten, wieder striktere Corona-Einschränkungen einzuführen. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Am Dienstag- und Mittwochabend kam es in Serbien zu gewalttätigen Auseinandersetzungen.
  • Präsident Aleksandar Vucic sieht die Schuld bei «Fanatikern».
  • Auch der serbische Botschafter in der Schweiz verteidigt den Corona-Kurs der Regierung.

In der Nacht auf Mittwoch und Donnerstag kam es in der serbischen Hauptstadt Belgrad zu schweren Ausschreitungen. Die Protestler warfen Steine und Feuerwerkskörper auf die Polizei, diese reagierte mit Tränengas und Schlagstöcken.

19 Beamte und 17 Demonstranten erlitten gemäss Fernsehsender N1 Verletzungen.

Coronavirus - Proteste in Serbien
Polizisten stossen mit Demonstranten zusammen, die sich vor dem Parlament versammeln und gegen die Ankündigung des serbischen Präsidenten protestieren, wieder striktere Corona-Einschränkungen einzuführen.
Coronavirus - Proteste in Serbien
Serbien plant schärfere Massnahmen, nachdem erneut hohe Todeszahlen gemeldet wurden.
Coronavirus - Proteste in Serbien
Polizisten bewachen das Parlamentsgebäude, während Demonstranten gegen die Ankündigung des serbischen Präsidenten protestieren.
Protesters storm Parliament
Die Polizei stößt vor dem serbischen Parlamentsgebäude in Belgrad mit Demonstranten zusammen.
Coronavirus - Proteste in Serbien
Polizisten auf Pferden bewachen eine Demonstration in Belgrad.
Coronavirus - Proteste in Serbien
Auch am Mittwochabend stiessen die Demonstranten mit der Polizei zusammen.

Auslöser war die erneute Einführung harter Corona-Massnahmen: Serbien erlebt einen zweiten grossen Ausbruch, Ausgangssperren sollten wieder eingeführt werden, Personenansammlungen wurden erneut verboten. Mit der Ausgangssperre krebste der Präsident Aleksandar Vucic gestern Abend dann zurück.

Kritische Medien wie «European Western Balkans» sehen den Grund der Demonstrationen in der fehlgeleiteten Corona-Politik des Landes. Dem Präsidenten werden ausserdem autoritäre Tendenzen vorgeworfen.

Serbian President Aleksandar Vucic
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic zeigt Fotos von verletzten Polizisten während der nächtlichen Unruhen in Belgrad. - keystone

Am Mittwoch meldete sich der Präsident zu Wort: Anders als kritische Medien sieht die Präsident Aleksandar Vucic die Demonstrationen nicht als Reaktion auf Fehlentscheidungen seitens der Regierung. Doch warum gingen dennoch Tausende auf die Strasse?

Vucic: Rechtsextreme, Verschwörungstheoretiker, ausländische Geheimdienste

In einer Ansprache ging Vucic auf die Proteste ein: Er machte hauptsächlich Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker für die Ausschreitungen verantwortlich.

Der serbische Botschafter in der Schweiz Goran Bradic bestätigte auf Anfrage: Unter den Demonstranten, die mit Gewalt ins Parlamentsgebäude vordrangen, seien zwei bekannte rechtsextreme Politiker gewesen.

Goran Bradic Serbien Demonstrationen
Goran Bradic ist Botschafter Serbiens in der Schweiz. Seines Erachtens muss sich die Regierung im Corona-Krisenmanagement keine Vorwürfe machen lassen. - Keystone

Desweiteren seien Fanatiker, «die glauben, die Erde sei flach», und 5G-Verschwörungstheoretiker in die Proteste involviert, sagte Vucic in seiner Ansprache.

Am kommenden Wochenende führen Serbien und der Kosovo unter Leitung der EU Gespräche zur Verständigung. Angesichts dessen sollen ausländische Geheimdienste Einfluss auf die Proteste genommen haben: Andere Länder würden vor den Gesprächen von einer Schwächung der serbischen Position profitieren, so die Vermutung Vucics.

Nur Extremisten an den Demonstrationen?

Dass sich Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme an den Protesten beteiligten, scheint plausibel. Doch waren sie alleine für den Protest verantwortlich? Landesweit gingen tausende auf die Strasse. Angesichts dessen scheint es unwahrscheinlich, dass fanatische Splittergruppen alleine für den Protest verantwortlich gemacht werden können.

Vielmehr dürfte der Zickzackkurs der serbischen Regierung grosse Teile der Bevölkerung enttäuscht haben. Dass Serbien eine erneute Verschärfung der Massnahmen erlebt, liegt vor allem an der frühen Lockerung vor den Wahlen vom 21. Juni. Voraussetzung für die Durchführung der Wahlen war eine erfolgreiche Corona-Bekämpfung.

Protest against new coronavirus measures
Eine Demonstrantin mit serbischer Flagge steht vor einer Polizeilinie vor dem serbischen Parlament in Belgrad. - keystone

Der serbische Botschafter sieht die Regierung diesbezüglich frei von Vorwürfen: «Die Regierung Serbiens hat alle bisherigen Massnahmen aufgrund der Empfehlungen von Experten und Epidemiologen durchgeführt», so Bradic. Auch anlässlich der Wahlen müsse sich die Regierung keine Vorwürfe machen: «Wir hatten demokratische und legitime Wahlen.»

Das sieht die serbische Opposition anders – sie hatte aufgrund der aktuellen Lage im Land die Wahlen boykottiert. Berichte von «Balkan Insight» legen zudem nahe, dass die offiziellen Corona-Fallzahlen verfälscht waren.

Vucic nimmt Ausgangssperre zurück

Im Rahmen seiner Rede zu den Protesten stellte Vucic in Aussicht, die angekündigte Ausgangssperre doch nicht umsetzen zu wollen. Damit verfällt die Vucic erneut in den wenig konsequenten Kurs aus harter Hand und Zugeständnissen für die Bevölkerung.

Aleksandar Vucic Demonstrationen Serbien
Präsident aleksandar Vucic bei der Stimmabgabe am 21. Juni. Wahrscheinlich war die schnelle Lockerung vor den Wahlen Grund für die neue ausbreitung des Coronavirus. - Keystone

Doch die Proteste dürften anhalten. Die Aufrufe vom Mittwoch wurden spontan über die sozialen Medien verbreitet und hatten keinen gemeinsamen ideologischen Nenner. Für den folgenden Abend rief jedoch auch die Opposition zu Demonstrationen auf. Und das gewaltsame Eindringen ins Parlamentsgebäude lässt durchaus die Vermutung zu, dass auch extremistische Haltungen an den Protesten vertreten sind.

Auch wenn der Protestbewegung noch eine klare politische Linie fehlt, ist klar: Die Demonstrationen richten sich gegen die Politik Aleksandar Vucics und seiner Regierung. Für heute Donnerstag kündigte der Präsident die Bekanntgabe von neuen Anti-Corona-Massnahmen an. Ob diese die Situation noch mehr verschärfen, bleibt abzuwarten.

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