Der Wahl-Krimi geht weiter: Erdogan muss sich einer Stichwahl gegen Kemal Kilicdaroglu stellen. In dieser dürfte ersterer aber nur schwer zu schlagen sein...
Recep Tayyip Erdogan
Experten gehen vor der Stichwahl nicht davon aus, dass Recep Tayyip Erdogan die Macht in der Türkei verliert. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Ende Mai steht in der Türkei die Stichwahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu an.
  • Keiner konnte eine Mehrheit für sich gewinnen – deren Werte liegen knapp auseinander.
  • Experten gehen aber davon aus, dass Erdogan die Wahl für sich entscheiden wird.
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In der Türkei kommt es zur Stichwahl zwischen Recep Tayyip Erdogan und seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. Erdogan, seit 20 Jahren an der Macht, lag nach der Auszählung von 99 Prozent der Stimmen bei 49,51 Prozent der Stimmen. Somit nur knapp unter dem erforderlichen Mehr – der Oppositionskandidat liegt bei 44,88 Prozent.

Wer regiert ab dem 28. Mai das Land?

Geht es nach Türkei-Experte Maurus Reinkowski von der Universität Basel ist nicht mit einer Zeitenwende zu rechnen. «Oppositionelle Medien sprechen von einer Niederlage für Erdogan, weil er in die Stichwahl gehen muss. Aber das Wahlergebnis ist ein grosser Erfolg für ihn.»

Erdogan
Kemal Kilicdaroglu bildet die Opposition von Recep Tayyip Erdogan.
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Das Land ist gespalten: Keiner der beiden Kandidaten konnte die Wahl bis jetzt für sich entscheiden.
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Ein Experte geht davon aus, dass Recep Tayyip Erdogan die Stichwahl für sich entscheiden wird.
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Dadurch könnte sich die Beziehung zwischen der Türkei und Russland sogar intensivieren.

Christoph Ramm von der Universität Bern stimmt teilweise zu. «Für Erdogan ist es einerseits ein Sieg, weil er unter diesen Bedingungen als Erster durchs Ziel gekommen ist und bessere Voraussetzungen für die Stichwahl hat.»

Aber, so Ramm: «Andererseits ist es aber auch eine Niederlage: Er kommt von viel höheren Zustimmungswerten – dass es überhaupt zur Stichwahl kommt, ist eine Niederlage. An Zustimmung hat er unter anderem durch seine Wirtschaftspolitik, die die Inflation verschärft hat, sowie durch einen immer schlechter funktionierenden Staatsapparat verloren. In Erdogans Präsidialsystem werden die Positionen zunehmend nicht nach Kompetenz, sondern nach politischer Loyalität verteilt.»

Abwahl von Erdogan wäre unter «normalen Bedingungen» wahrscheinlich

Die AKP und Erdogan haben zwar an Charisma und Zustimmung verloren, so Reinkowski. Er gibt aber zu bedenken: «Angesichts der desaströsen wirtschaftlichen Lage und des verheerenden Erdbebens im Februar wäre eine Abwahl unter normalen Bedingungen höchst wahrscheinlich gewesen.»

Unter «normalen Bedingungen» verstehen sich eine freie Presse, keine politisch motivierten Inhaftierungen und keine Kontrolle aller Staatsorgane durch den Präsidenten.

Recep Tayyip Erdogan
Recep Tayyip Erdogan ist seit zwanzig Jahren Präsident der Türkei. (Symbolbild) - Keystone

Im Parlament werde seine Allianz von AKP und MHP eine Mehrheit haben, so Reinkowski. «Es kann fast keinen Zweifel daran geben, dass er die Stichwahl gewinnen wird. Denn die Macht und Kontrolle über den grössten Teil der Medien liegt bei ihm.»

Der dritte Kandidat Sinan Ogan scheidet mit etwas mehr als über fünf Prozent aus. Er werde sich vermutlich für Erdogan aussprechen.

Türkisch-russische Beziehungen: So könnte es weitergehen

Der türkische Präsident pflegt eine enge Beziehung zu Russland. Der Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu hat kurz vor der Wahl Russland eine Beeinflussung der Wahl vorgeworfen. Reinkowski erklärt: «Auch wenn das nicht zutreffen sollte: Putin hätte Erdogan gewählt.»

Die Türkei sei auf Russlands Energielieferungen angewiesen, Russland wiederum auf die Türkei als Tor zur westlichen Welt. «Beide, Erdogan und Putin, sind stolz auf ihre persönlichen Verbindungen.» Man könne also davon ausgehen, dass die türkisch-russischen Beziehungen sich in der nächsten Zeit sogar noch intensivieren.

Experte Ramm pflichtet bei: «Auch Kilicdaroglu würde die Beziehung zu Russland nicht grundsätzlich infrage stellen. Bei einem Sieg der Opposition ist jedoch zu erwarten, dass die türkische Aussenpolitik berechenbarer und weniger aggressiv wird.»

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