Inmitten einer schweren politischen Krise wählt Armenien ein neues Parlament. Die Wahl ist richtungsweisend nach dem Krieg um die Region Berg-Karabach, bei dem Aserbaidschan Gebiete zurückeroberte.
Regierungschef Nikol Paschinjan bei der Stimmabgabe in Eriwan. Foto: Lusi Sargsyan/PHOTOLURE/AP/dpa
Regierungschef Nikol Paschinjan bei der Stimmabgabe in Eriwan. Foto: Lusi Sargsyan/PHOTOLURE/AP/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Unter dem Eindruck des verlorenen Krieges um die Konfliktregion Berg-Karabach hat das krisengeschüttelte Armenien ein neues Parlament gewählt.

Sieben Monate nach den Kämpfen mit Aserbaidschan bildeten sich bei grosser Hitze an den Wahllokalen in der armenischen Hauptstadt Eriwan am Sonntag teils lange Warteschlangen. Der angeschlagene Regierungschef Nikol Paschinjan will nach der vorgezogenen Parlamentswahl, die er unter dem Druck der Opposition angesetzt hatte, weiter regieren. Hoffnung auf einen Sieg macht sich auch sein ärgster Herausforderer, der frühere Präsident Robert Kotscharjan.

Insgesamt waren rund 2,6 Millionen Menschen zur Wahl in dem völlig verarmten Land aufgerufen. Um die mindestens 101 Plätze im Parlament der Südkaukasusrepublik bewerben sich Anhänger von 21 Parteien und 4 politischen Blöcken - so viele wie nie zuvor. Die Beteiligung lag am frühen Nachmittag bei rund 27 Prozent, wie die Wahlkommission mitteilte.

Ein klares Bild über den Ausgang der Wahl wird erst für diesen Montag erwartet. Der Politologe Alexander Iskandarjan schloss neue gewaltsame Proteste nach der Wahl nicht aus. «Es kann alles passieren», sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Eriwan. Nach der Schliessung der Wahllokale um 20.00 Uhr (18.00 Uhr MESZ) werden noch am späten Sonntagabend erste Ergebnisse erwartet.

Die Abstimmung entscheidet indirekt über die Zukunft eines Anfang November unter Vermittlung Russlands zustande gekommenen Waffenstillstandsabkommens mit Aserbaidschan. Der 46 Jahre alte Paschinjan gilt aus Moskauer Sicht als Garant dafür, dass die Vereinbarung nach dem 44-tägigen Krieg bestehen bleibt. Dazu gehört auch die Stationierung von rund 2000 russischen Friedenssoldaten in Berg-Karabach. Bei dem Krieg gab es mehr als 6500 Tote.

Er habe für Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung gestimmt, sagte der 66-jährige Kotscharjan. Der Oppositionelle und sein Parteienblock Armenien beklagten, dass in Eriwan massenweise Flugblätter verteilt wurden, auf denen Kotscharjan mit Blut an den Händen und auf seinem Hemd zu sehen ist. Er sprach von einem «ungeheuerlichen Vorfall».

Am Wahltag sagten viele Armenier, dass sie von Paschinjan, der 2018 im Zuge einer Revolution an die Macht gekommen war, enttäuscht seien. Etliche beklagten aber auch, dass weder der Regierungschef noch Kotscharjan eine «saubere Weste» hätten. Korruption gilt in Armenien als grosses Problem. Die Opposition gibt Paschinjan die Schuld an dem Blutvergiessen und an den massiven Gebietsverlusten. Der frühere Journalist hatte Rücktrittsforderungen aber stets zurückgewiesen.

Auf einem Militärfriedhof in Eriwan mit Hunderten Gräbern trauerten auch am Wahlwochenende viele Menschen um ihre Angehörigen, die in Berg-Karabach - der in Armenien so bezeichneten nicht anerkannten Republik Arzach - im Herbst starben. Mit Blick auf die angespannte Lage in Armenien warnte Präsident Armen Sarkissjan vor einer Eskalation der Lage. Hass und Feindschaft müssten enden.

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