Es war kein Einzelfall, dass der saudi-kritische Journalist Khashoggi in Istanbul war. Denn: die Metropole wurde zum Zufluchtsort für arabische Medien.
Hagia Sophia
Die Hagia Sophia in Istanbul. - Pixabay
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Das Wichtigste in Kürze

  • Nach Istanbul reisen immer mehr arabische regierungskritische Journalisten.
  • Der Fall Jamal Khashoggi bringt Verunsicherung.

Die Türkei gilt als grösstes Gefängnis der Welt für Journalisten, doch für arabische Medien ist die türkische Metropole Istanbul zu einem Zufluchtsort geworden. Regierungskritische Journalisten und Intellektuelle aus Staaten wie Syrien, Ägypten, dem Jemen oder Saudi-Arabien geniessen am Bosporus eine Freiheit, die ihnen zuhause verwehrt wird. Seit dem Verschwinden des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi im Istanbuler Konsulat seines Landes ist die Szene jedoch in Aufruhr.

Der Journalist plante nach Angaben seiner Angehörigen, zwischen Istanbul und Washington zu pendeln, wohin er im September 2017 aus Furcht vor einer Festnahme geflohen war. Seit seinem Verschwinden am 2. Oktober protestieren regelmässig arabische Journalisten und Intellektuelle vor Saudi-Arabiens Konsulat, darunter die jemenitische Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman oder der ägyptische Fernsehjournalist Aiman Nur.

«Istanbul hat uns eine Freiheit gegeben»

«Istanbul hat uns eine Freiheit gegeben, die es in der arabischen Welt nicht gibt. Zudem hat die Türkei den Arabischen Frühling unterstützt, der die meisten der Medien hier hervorgebracht hat», sagt Nur. Der 54-Jährige ist Vorsitzender der liberalen Partei Al-Ghad und leitet den oppositionellen Fernsehsender Al-Schark, der in Istanbul 135 Journalisten und Techniker beschäftigt und auch der ägyptischen Opposition eine Stimme geben will.

Unter dem ägyptischen Langzeitherrscher Husni Mubarak war der Nur lange inhaftiert. Nach seinem Sturz im Zuge des Volksaufstands 2011 stand er der neuen Regierung des Islamisten Mohammed Mursi kritisch gegenüber, lehnte aber auch seine Absetzung durch das Militär unter Führung des heutigen Staatschefs Abdel Fattah al-Sisi im Juli 2013 ab und ging daher kurz nach der Militärintervention ins Exil.

«Wir müssen vorsichtiger sein»

Das Verschwinden seines langjährigen Freundes Khashoggi in Istanbul sieht Nur als furchtbare Warnung. «Wir haben erkennen müssen, dass ein Risiko besteht, auch wenn es nicht sehr gross ist. Wir müssen vorsichtiger sein», sagt er. Türkische Ermittler verdächtigen Saudi-Arabien, den kritischen Journalisten im Konsulat auf grausame Weise ermordet zu haben. Riad bestreitet dies, hat aber bis heute nicht nachgewiesen, dass er das Gebäude lebend verliess.

Der Fall Khashoggi wirft auch ein Schlaglicht auf die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Saudi-Arabien. Dort ist etwa auch die «Arabi Post» blockiert, obwohl der von Istanbul betriebene arabische Ableger der US-Onlinezeitung «Huffington Post» nach Angaben ihres Redaktionsleiters Raschad Abdelkader kein Oppositionsmedium ist, sondern nur den Anspruch hat, «seinen Lesern transparenten Qualitätsjournalismus» zu bieten.

«Die Türkei ist ein sicheres Land»

«In der Türkei haben wir mehr Freiheit, um die arabische Aktualität abzudecken, als in einem arabischen Land», sagt der Syrer Abdelkader. Zudem sei es einfacher, in der Türkei für arabische Journalisten eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Die Onlinezeitung, die nach eigenen Angaben rund 17 Millionen Zugriffe pro Monat verzeichnet, beschäftigt am Bosporus 35 Journalisten und rund 15 weitere freie Mitarbeiter.

Für Yasin Aktay, ebenfalls ein Freund Khashoggis, ist die Vorliebe der arabischen Journalisten für die Türkei leicht zu erklären: «Für sie war die Alternative in ihrer Heimat das Gefängnis. Daher haben sie Istanbul gewählt», sagt Aktay, der als Berater des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan tätig ist. «Was Jamal Khashoggi passiert ist, sollte ihnen womöglich die Botschaft senden, dass es bei uns nicht sicher ist. Doch die Türkei ist ein sicheres Land.»

Für türkische Journalisten gilt dies allerdings nicht, wie der örtliche Vertreter von Reporter ohne Grenzen betont. Die Restriktionen, denen türkische Journalisten ausgesetzt seien, stünden im Widerspruch zur Freiheit, die ihre arabischen Kollegen genössen, sagt Erol Önderoglu. Für die arabischen Medien sei die Türkei eine diplomatische Macht und ein Modell, doch würden sie lieber vermeiden, die türkische Regierung zu kritisieren.

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