Die Beziehung zwischen der schottischen und der britischen Regierung ist derzeit angespannt. Nun geht Boris Johnson nicht auf eine Einladung aus Glasgow ein.
Johnson Sturgeon
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon im Sommer 2019 zusammen mit dem britischen Premier Boris Johnson. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Boris Johnson hat eine Einladung zum Dialog von Nicola Sturgeon ignoriert.
  • Der britische Premier und die schottische Regierungschefin sind sich derzeit nicht einig.
  • Für Streit sorgt vor allem der Unabhängigkeitswunsch der Schotten.

Statt Tea Time herrscht zwischen dem britischen Premierminister Boris Johnson und der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon nun Eiszeit.

Im Ton freundlich, doch in der Sache eindeutig hat Johnson eine Einladung Sturgeons zum Vier-Augen-Gespräch ignoriert. Er wollte am Mittwoch in den nördlichsten britischen Landesteil reisen.

Nicola Sturgeon schottland
Nicola Sturgeon, Erste Ministerin von Schottland, spricht im schottischen Parlament. - dpa

«Die Beziehungen zwischen London und Edinburgh sind kalt und im Wesentlichen – wenn auch nicht öffentlich – feindselig.» Das sagte die Politologin Kirsty Hughes der Nachrichtenagentur DPA.

Angeheizt wird der Streit von der – in Einladung und Absage nicht angesprochenen –Kernfrage: der Forderung Sturgeons nach einem neuen schottischen Unabhängigkeitsreferendum. Ihre Schottische Nationalpartei (SNP) strebt eine Volksbefragung an. Sie möchte raus aus dem Vereinigten Königreich und zurück in die EU.

Bei der Parlamentswahl im Mai wurde sie für diesen Kurs belohnt. Nur knapp scheiterte die SNP an der absoluten Mehrheit. Doch gemeinsam mit den Grünen hat sie im Parlament in Edinburgh genügend Stimmen beisammen. Medienberichten zufolge steht eine formale Kooperation kurz bevor.

Johnson in Schottland unbeliebt

Selbstbewusst kündigte Sturgeon an, im kommenden Jahr eine Volksbefragung auf den Weg zu bringen. Doch die Lage ist kompliziert. Denn die meisten Experten sind der Ansicht, dass ohne Zustimmung aus London ein Referendum nicht rechtens ist.

Und Johnsons Regierung lehnt dies bisher ab. Sie verweist auf die Befragung 2014, als sich eine knappe Mehrheit für den Verbleib aussprach. Die SNP betont hingegen, mit dem Brexit, den die Schotten ablehnen, hätten sich die Voraussetzungen fundamental verändert.

Brexit Proteste in Schottland
Pro-Europäische Demonstranten halten vor dem schottischen Parlament die Flaggen der Europäischen Union und von Schottland in die Luft. - dpa

Für Johnson ist sein zweitägiger Besuch in Schottland – sein erster seit der Parlamentswahl – ein Ritt auf der Rasierklinge. «Johnson weiss, dass er in Schottland unbeliebt ist», sagte Expertin Hughes. «Seine Besuche helfen vor allem den Unabhängigkeitsbefürwortern.» Kritiker werfen ihm eine «England First»-Politik zulasten der anderen Landesteile vor, wohl auch deshalb wurde die Reise erst kurzfristig bekannt.

Als Johnson im Januar nach Schottland fuhr, kritisierte Sturgeon den Besuch auf dem Höhepunkt der dritten Corona-Welle als unnötig. Nun lud sie ihren Kontrahenten explizit ein, sie habe vernommen, dass er nach Schottland reise, schrieb sie spitz. Dies sei doch eine gute Chance, sich persönlich zu treffen und über den Weg aus der Corona-Pandemie zu sprechen.

In Grossbritannien ist Gesundheitspolitik Ländersache. «Wir sind politisch unterschiedlicher Meinung, aber unsere Regierungen müssen zusammen arbeiten, wo es geht.» Auch in der Klimapolitik muss sich abgestimmt werden. Denn Grossbritannien richtet im November die Weltklimakonferenz COP aus – im schottischen Glasgow.

Zeit läuft für Grossbritannien

Aber sicher hätte Sturgeon das «IndyRef2» angesprochen, wie das angestrebte Unabhängigkeitsreferendum genannt wird. Denn es gilt herauszufinden, ob die britische Regierung ihren Kurs geändert hat. Am Wochenende überraschte Staatsminister Michael Gove, selbst Schotte, mit der Aussage: London werde nicht im Wege stehen, wenn es im Norden den «festen Willen» zu einem Referendum gebe.

Was dafür den Ausschlag geben soll, sagte Gove nicht. «Sie wissen, dass sie eine demokratische Entscheidung nicht verhindern können.» Dies sagte ein ranghoher Politiker in Edinburgh mit Blick auf den Wahlsieg der Unabhängigkeitsbefürworter der DPA. «Sie wollen Zeit gewinnen.»

grossbritannien flagge
In Grossbritannien wird der Mindestlohn erhöht. - dpa

Denn die Zeit spricht im Moment für die Union: Waren über Monate bis zu 58 Prozent der Schotten für die Loslösung, sind es derzeit unter 50 Prozent. Tendenz sinkend.

Er sei sehr an einem persönlichen Treffen interessiert, versicherte Johnson der «dear Nicola». Wie besprochen sei der beste Rahmen dafür ein Meeting, an dem auch die Regierungschefs der Landesteile Wales und Nordirland teilnehmen.

«Er meidet Sturgeon – im Wesentlichen aus politischer Feigheit», sagte Politologin Hughes. Johnson ist ein gebranntes Kind: Als er im Juli 2019 in Sturgeons Amtssitz Bute House war, wurde er von Demonstranten ausgebuht. Und verliess das Gebäude durch die Hintertür.

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