Die Ära Angela Merkel ist beendet. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz ist neuer Kanzler. Nun muss Deutschlands erste Ampel-Bundesregierung zeigen, was sie kann.
Kanzler Olaf Scholz legt den Amtseid ab. Er verzichtet auf die Formel «So wahr mir Gott helfe». Foto: Kay Nietfeld/dpa
Kanzler Olaf Scholz legt den Amtseid ab. Er verzichtet auf die Formel «So wahr mir Gott helfe». Foto: Kay Nietfeld/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Deutschlands erste rot-grün-gelbe Bundesregierung ist im Amt und kann mit ihrer geplanten Erneuerung des Landes loslegen.

Der Bundestag wählte in Berlin den Sozialdemokraten Olaf Scholz zum neunten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er und seine 16 Ministerinnen und Minister erhielten anschliessend von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Ernennungsurkunden. Dieser rief die neue Regierung dazu auf, bei ihrer Reformpolitik alle Menschen mitzunehmen. Mit dem Antritt der Ampel-Koalition ist die Ära von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach 16 Jahren beendet. Sie übergab am Nachmittag das Kanzleramt an Scholz.

Auf den Sozialdemokraten entfielen in der geheimen Wahl im Bundestag 395 von 707 abgegebenen Stimmen. Es gab 303 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen, 3 Stimmen waren ungültig. Dem Sozialdemokraten fehlten damit mindestens 15 Stimmen aus den Reihen von SPD, Grünen und FDP. Zur Wahl waren 369 Stimmen nötig. Die Ampel-Parteien verfügen im Parlament über 416 Mandate - 47 mehr als die sogenannte Kanzlermehrheit. Sechs Abgeordnete der drei Fraktionen nahmen nach deren Angaben nicht an der Abstimmung teil, etwa weil sie krank waren.

Kühnert: Bei uns haben alle gestanden

SPD-Vize Kevin Kühnert geht davon aus, dass die Abweichler bei der Kanzlerwahl nicht aus Reihen der SPD, sondern von FDP und Grünen kamen. Den Koalitionspartnern falle es naturgemäss schwerer, jemanden von einer anderen Partei zum Kanzler zu wählen, sagte Kühnert dem Sender Phoenix. Gefragt nach dem Wahlverhalten der Jusos unter den Bundestagsabgeordneten sagte er: «Da würde ich meine Hand ins Feuer legen, dass bei uns alle gestanden haben.»

Scholz nimmt Wahl an

Als Erster überreichte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dem neuen Kanzler einen Blumenstrauss, dann Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Auch der unterlegene Unionskanzlerkandidat Armin Laschet gratulierte.

Scholz legte anschliessend im Bundestag seinen Amtseid ab. Er schwor unter anderem, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Der SPD-Politiker - und später sieben seiner Ministerinnen und Minister - verzichtete auf den Zusatz «So wahr mir Gott helfe».

Damit ist die Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach 16 Jahren beendet. Der 63-jährige Scholz ist erst der vierte SPD-Kanzler in der Geschichte der Bundesrepublik - nach Willy Brandt (1969-1974), Helmut Schmidt (1974-1982) und Gerhard Schröder (1998-2005). Die CDU stellte bislang die vier Kanzler Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger und Helmut Kohl sowie zuletzt Kanzlerin Merkel.

Merkel auf Gästetribüne

Bei der Übergabe des Kanzleramts wünschte Merkel Scholz «immer eine glückliche Hand». Sie wisse, dass er mit grosser Motivation an die Arbeit gehe. «Und deshalb: Nehmen Sie dieses Haus in Besitz und arbeiten Sie mit ihm zum Besten unseres Landes.» Scholz bescheinigte Merkel, Deutschland «geprägt» zu haben. «Das war eine grosse Zeit, in der Sie Kanzlerin dieses Landes waren, und Sie haben auch Grossartiges bewegt.» In vielen Ministerien fand zeitgleich ebenfalls die Amtsübergabe an die neuen Hausherren statt. Das neue Kabinett wollte sich am Abend zu seiner ersten Sitzung treffen.

Merkel hatte am Morgen die Kanzlerwahl auf der Gästetribüne des Bundestags verfolgt. Als sie bei der Eröffnung der Sitzung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) begrüsst wurde, standen die Abgeordneten - mit Ausnahme der AfD-Parlamentarier - auf und klatschten stehend Beifall.

Der Kanzlerwahl wohnten auch ehemals führende Politiker wie Altbundespräsident Joachim Gauck und der letzte SPD-Kanzler Schröder bei. «Olaf Scholz wird das sehr, sehr gut machen», sagte Schröder dem Fernsehsender «Welt». «Ich traue ihm eine Menge zu und deswegen bin ich guten Mutes.» Ratschläge wollte Schröder der Regierung nicht mit auf den Weg geben. «Mein Rat ist, dass sie ihre Arbeit tun», sagte er am Rande der Vereidigung von Scholz.

Scholz dankt Merkel

Scholz dankte seiner Vorgängerin für ihren Einsatz als Kanzlerin. In ihrer Amtszeit habe Merkel viele Krisen zu bewältigen gehabt, manche davon hätten sie auch zusammen durchgestanden. «Das hat zusammengeschweisst», sagte Scholz am Mittwoch bei der Amtsübergabe im Kanzleramt. «Zwischen uns hat immer eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit existiert.» Das zeige, dass Deutschland eine starke und leistungsfähige Demokratie sei.

Wenn er jetzt das Kanzleramt übernehme, werde sich gar nicht so viel ändern, sagte Scholz mit einem Schmunzeln. «Ich will gerne anknüpfen an die, wie soll man das sagen, nord-ostdeutsche Mentalität, die da bisher geherrscht hat. So viel wird sich da nicht ändern», versprach er. Später fügte er ernst hinzu, ein Regierungsübergang in einer grossen, nicht abgeschlossenen Krise setze auch Kontinuität und Gemeinschaft voraus. «Und ich gehe davon aus, dass uns das auch gelingt», sagte er.

Koalitionsvertrag

Zum Schutz der Bundeswehr-Soldaten bei Auslandseinsätzen wollen die Ampel-Parteien eine Bewaffnung von Drohnen ermöglichen. Sie verständigten sich auf ein neues Bundesministerium für Bauen und auf eine Erweiterung des Wirtschaftsministeriums um das Thema Klimaschutz.

Im kommenden Jahr will die Ampel-Koalition wegen der andauernden Pandemiefolgen noch einmal neue Kredite aufnehmen, ab 2023 dann aber die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse wieder einhalten. Neue Steuern oder Steuererhöhungen soll es nicht geben. Kommunen mit hohen Altschulden sollen entlastet werden.

Parteitage von SPD und FDP hatten den Koalitionsvertrag am Wochenende mit jeweils mehr als 90 Prozent Zustimmung angenommen, eine Mitgliederbefragung der Grünen dazu ergab eine Zustimmung von rund 86 Prozent.

Neue Bundesregierung

In der neuen Regierung stellt die SPD sieben Ministerinnen und Minister: Wolfgang Schmidt (Kanzleramtschef), Karl Lauterbach (Gesundheit), Hubertus Heil (Arbeit und Soziales), Nancy Faeser (Innen), Christine Lambrecht (Verteidigung), Klara Geywitz (Bau) und Svenja Schulze (Entwicklung). Für die Grünen sind im Kabinett: Annalena Baerbock (Aussen), Robert Habeck (Wirtschaft und Klimaschutz), Anne Spiegel (Familie), Steffi Lemke (Umwelt) und Cem Özdemir (Agrar). Habeck ist auch Vizekanzler. Die Kabinettsmitglieder der FDP sind: Christian Lindner (Finanzen), Volker Wissing (Verkehr), Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Bildung).

Nach Scholz leisteten auch seine 16 Ministerinnen und Minister ihren Amtseid. Zuvor waren sie von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ernannt worden.

Olaf Scholz (SPD) reist am Freitag zu seinen ersten Antrittsbesuchen nach Frankreich und nach Brüssel. In Paris wird Scholz von Präsident Emmanuel Macron mit militärischen Ehren empfangen, wie das Bundespresseamt am Mittwoch in Berlin mitteilte. Der erste Auslandsbesuch sei «Ausdruck der engen Verbundenheit und Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich».

In Brüssel will Scholz dann EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel treffen. Im Fokus soll die Vorbereitung des EU-Gipfels in der kommenden Woche stehen. Am Abend ist ein Gespräch mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg geplant. Dies solle die Bedeutung der Allianz für die deutsche, europäische und transatlantische Sicherheit unterstreichen, hiess es.

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