Bundesgerichtshof hegt Zweifel an Argumenten von VW im Dieselskandal-Prozess
Im VW-Dieselskandal hat der Bundesgerichtshof (BGH) Zweifel an der Position des Autoherstellers geäussert.

Das Wichtigste in Kürze
- Vorsitzender Richter: Kläger kann Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises haben.
Der Vorsitzende Richter Stephan Seiters stellte in der mündlichen Verhandlung am Dienstag mehrere Argumente des Konzerns in Frage - vor allem die, dass den Kunden durch die Abschalteinrichtung kein Schaden entstanden sei. Sein Urteil will der BGH am 25. Mai verkünden. Bislang gibt es in dem Skandal noch kein höchstrichterliches Urteil, an dem sich die Gerichte in Deutschland orientieren können. (Az. VI ZR 252/19)
In dem konkreten Fall geht es um die Klage des VW-Kunden Herbert Gilbert, der für seinen 2014 gebraucht gekauften VW Sharan den vollen Kaufpreis von rund 31.500 Euro rückerstattet bekommen möchte. Der Wagen läuft mit dem Dieselmotor EA 189, also demjenigen Motorentyp, der im Zentrum des VW-Abgasskandals steht.
Richter Seiters sagte, das Auto sei nicht voll brauchbar, wenn es vom Zufall abhänge, ob ein Mangel aufgedeckt werde. Für die Beschädigung komme es nicht darauf an, dass die unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug erst später bekannt geworden sei. Für den Kläger sei das von Nachteil. Gilbert könne einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises haben, müsse sich aber eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen, sagte Seiters.
Die Karlsruher Bundesrichter prüfen, ob dem Käufer wegen «vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung» Schadenersatz zusteht und wieviel. Gilberts Anwalt Matthias Siegmann argumentierte vor dem BGH, sein Mandant hätte das Auto nie gekauft, wenn er von der Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug gewusst hätte.
VW-Anwalt Reiner Hall bekräftigte dagegen die seit Bekanntwerden des Dieselskandals geäusserte Auffassung des Konzerns, dem Kunden sei kein Schaden entstanden. Das Fahrzeug sei stets nutzbar und sicher gewesen, eine Stilllegung habe real nie gedroht. Hall nannte Kläger Gilbert in seinen Ausführungen einen «Wegelagerer», nahm diese Äusserung kurze Zeit später jedoch wieder zurück.
Der BGH habe klargestellt, dass selbst bei einer Verurteilung von VW die Nutzung des Fahrzeugs anzurechnen sei, betonte am Rande des Prozesses eine VW-Anwältin. Der Kläger habe das Auto mehrere Jahre lang genutzt. «Da ist es fair, wenn er sich die Nutzung anrechnen lassen muss.»
Volkswagen hatte im September 2015 zugegeben, in weltweit elf Millionen Fahrzeugen eine illegale Software eingesetzt zu haben. In Deutschland betroffen waren mehr als zwei Millionen Kunden. Anhängig sind hierzulande laut VW rund 68.000 Klagen.
Im Fall Gilbert wies das zuständige Landgericht Bad Kreuznach die Klage gegen VW im Oktober 2018 ab. Das Oberlandesgericht Koblenz urteilte im Juni 2019 im Berufungsverfahren, dass VW wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung 25.616,10 Euro zu zahlen habe. Dabei rechneten die Richter an, dass Gilbert den Wagen jahrelang nutzte.
Der 65-Jährige lässt den Prozess vom Rechtsdienstleister Myright finanzieren. Das Unternehmen zeigte sich nach dem Verhandlungstag am Dienstag siegesgewiss: «VW hat wohl sittenwidrig betrogen und muss die Verantwortung übernehmen.» Der Fall werde wohl «wie erwartet zugunsten der im VW-Dieselskandal geschädigten Verbraucher» ausgehen.