Wieso macht uns Religion nicht zu besseren Menschen?
Buddhistische Mönche auf Abwegen: Ein Sex-Skandal erschütterte Thailand. Wir fragen bei einer Religionswissenschaftlerin nach, wie so etwas passieren konnte.

Das Wichtigste in Kürze
- Buddhistische Mönche in Thailand versanken in einem Sex-Skandal.
- Dass solche Dinge passieren, erstaunt Dolores Zoé Bertschinger nicht.
- Sie ist Religionswissenschaftlerin an der Universität Bern.
Vor wenigen Wochen wurde das buddhistische Thailand durch einen Skandal aufgeschreckt: Eine Frau erpresste hochrangige Mönche mit intimen Aufnahmen.
Eigentlich leben diese Mönche im Zölibat, also der sexuellen Enthaltsamkeit. Nichts da: Die geistlichen Führer trieben es offenbar bunt. Und das seit Jahren.

Das wirft Fragen auf, die wir Dolores Zoé Bertschinger stellen. Sie ist Religionswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Buddhismus an der Universität Bern.
Nau.ch: Wie ist eine solche sexuelle Entgleisung von Mönchen möglich?
Dolores Zoé Bertschinger: In der Schweiz wird der buddhistische Glaube vor allem privat ausgelebt, hier gibt es keine grosse ordinierte Gemeinschaft. In Thailand ist der Buddhismus hingegen eine starke Institution – mit viel Geld und Einfluss.
Wie in jeder Institution kommt es auch dort zu Machtmissbrauch. Dass solche Dinge auch im Buddhismus passieren, erstaunt mich nicht.

Nau.ch: Wieso nicht? Warum sind buddhistische Mönche keine besseren Menschen als der durchschnittliche Nau.ch-Lesende?
Bertschinger: Was bedeutet «bessere Menschen»?
Nau.ch: Dass sie zum Beispiel kein Doppelleben führen. Oder halten können, was sie sich vornehmen.
Bertschinger: Religionen geben Menschen Werkzeuge in die Hand, um daran zu üben. Die Religion macht Menschen nicht «besser», aber sie kann universelle Werte vorgeben. An denen kann man sich orientieren und im Bestreben danach leben.
In diesem Sinne würde ich von buddhistischen Mönchen schon erwarten, dass sie «bessere» Menschen werden. Denn das Kloster ist ja dazu da, besonders intensiv zu üben.
Nau.ch: Wenn Religion selbst supergläubige Mönche nicht vor Abwegen bewahrt – was hat Religion dann überhaupt noch für eine Daseinsberechtigung?
Bertschinger: Religionen sind enorm wichtig im Hinblick auf unsere Kultur, Geschichte und gesellschaftliche Zusammenhänge. Wir müssen uns aber immer wieder neu überlegen, welche Formen von Religion adäquat und sinnvoll sind für unsere Zeit.
Ich persönlich teile radikale Meinungen wie die Abschaffung der Religion nicht. Sie ist noch immer zentral für das Gemeinwesen, für Kunst- und Kulturerhalt und auch einfach für die individuellen Gläubigen.
Nau.ch: Obwohl Religion fast alle Kriege verursacht?
Bertschinger: Viele Kriege werden aufgrund ökonomischer Ressourcen geführt, die Religion ist also nur eine Motivation dazu. Und hinsichtlich der Motivation gibt es auch immer Unterschiede zwischen jenen, die Kriege anzetteln und jenen, die sie ausführen müssen.
Aber selbst da wissen wir aus Erfahrung: Religion spielte auch bei Friedensschlüssen oft eine Rolle, insbesondere dann auch im Wiederaufbau, der Verarbeitung von Kriegen und Gewalt. In vielen Ländern schultern Nonnen zum Beispiel das lokale Gesundheitswesen.
Nau.ch: Zurück nach Thailand: Inwiefern wird dieser Skandal die buddhistische Gemeinschaft verändern?
Bertschinger: Ich glaube deswegen nicht an eine nachhaltige Veränderung. Diese Strukturen sind zu verkrustet. Auch wird in Thailand ja bereits weniger über die Mönche und mehr über die Erpresserin gesprochen. Es ist leicht, ihr die moralische Schuld zuzuschieben.
Nau.ch: Was sollte Ihrer Meinung nach stattdessen passieren?
Bertschinger: Grundsätzlich fände ich es begrüssenswert, im Buddhismus würde die Rolle der Institutionen stärker reflektiert. Zur Zeit Buddhas lebten die Mönche ein Leben mit sehr wenig Besitz. Was ist seither passiert?
Klöster sind Guts- und Vermögensverwaltungen geworden und in manchen Ländern wie Sri Lanka oder Burma betreiben Mönche extremistische Politik. Gegen solche Entwicklungen müssen Laienbuddhisten sich wehren.