Zeit zum Entschleunigen – Usedoms goldener Herbst
Sanftes Licht, leere Strände und viel Platz zum Sein: Wenn die letzten Sommergäste abgereist sind, zeigt die Ostseeinsel ihre stille Seite.

Das Wichtigste in Kürze
- Usedom ist eine der deutschen Ostseeinseln. Sie lässt sich das ganze Jahr bereisen.
- Eine gute Reisezeit ist der Herbst, weil es dann weniger Touristinnen und Touristen hat.
Kastanien knacken unter meinen Füssen, der Waldboden ist weich und moosbedeckt. Der Wind riecht nach Salz und feuchtem Laub, in der Ferne schreien die Möwen.
Sonst ist es vollkommen still. Hinter dem bunt gefärbten Küstenwald liegt die Ostsee: wogend, grau, unendlich. Jetzt bin ich ganz allein mit mir und dem Meer.
Im Gegensatz zu den Sommermonaten, in denen die Insel in Mecklenburg-Vorpommern von Touristen teilweise überrannt wird.
Badewanne Berlins
Die «Badewanne Berlins» ist mit 445 Quadratkilometern Deutschlands zweitgrösste Insel. Eingebettet zwischen Peenestrom und Ostsee zählt sie mit rund 1900 Sonnenstunden im Jahr zu den sonnigsten Regionen des Landes. Und zeigt sich im Herbst von ihrer schönsten Seite. Jetzt gehören die 42 Kilometer Sandstrand nur den Spaziergängern.
Europas längste Strandpromenade verbindet auf zwölf Kilometern die Kaiserbäder Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck mit dem polnischen Swinemünde. Beim entspannten Flanieren begegnet einem auf Schritt und Tritt Geschichte.

Zwischen verspieltem Jugendstil und herrschaftlichem Barock säumen prachtvolle Villen den Weg. Stille Zeitzeugen jener Epoche, als Künstler, Denker, Visionäre und Adlige Erholung suchten und hier ihren Sehnsuchtsort fanden. Wer tiefer eintauchen will, folgt dem digitalen Kaiserbäder-Erlebnispfad mit 50 Stationen. Oder er residiert stilvoll in einem der historischen Anwesen, etwa in der ehrwürdigen Villa Bleichröder.
Lebendiges Museum
Entlang der Promenade reihen sich die Villen im Stil der Bäderarchitektur wie an einer Perlenschnur aneinander. In Heringsdorf, einst Refugium der Berliner Gesellschaft, logierten schon Gorki, Mann, Tucholsky und viele andere Zeitgenossen.
Theodor Fontane schwärmte von der «feinen Luft der Ostsee». Der deutsch-amerikanische Maler und Bauhaus-Künstler Lyonel Feininger hielt auf seinen Velotouren mehr als 100 Motive in Skizzen und Aquarellen fest.
Der 56 Kilometer lange Feininger-Radweg ist ein lebendiges Museum. Er führt vorbei an Kirchen, Mühlen und üppiger Natur zu den Wirkstätten des Künstlers. In der Villa Irmgard, heute ein kultureller Insel-Hotspot, verfasste Gorki Briefe an Tolstoi.
Der Herbst ist ideal, um sich einfach nur treiben zu lassen – oder im Strandkorb zu entspannen. Der erste seiner Art wurde übrigens 1882 in Heringsdorf erfunden und trat von hier aus seinen weltweiten Siegeszug an.

Die Manufaktur gibt es noch heute. Auch in der kühleren Jahreszeit erweist er sich als ausgesprochen praktisch: Er schützt vor dem Wind, während ich am Strand von Bansin dem Rauschen der Wellen lausche.
Stilles Achterland
Nur wenige Kilometer ins Inselinnere offenbart sich Usedoms stilles Herz: das Achterland. Endlose Felder, feuchte Wiesen, kleine Seen. Reetgedeckte Häuser ducken sich unter uralten Bäumen.
In Mellenthin liegt das gleichnamige Wasserschloss – mit Hotel, Brauerei und Schokoladenmanufaktur. Im verwunschenen Garten des «Café Seelchen» in Lütow hängt der Nebel tief zwischen Apfelbäumen. Es duftet verführerisch nach Selbstgebackenem. Im lässigen Surfertreff «Café Knatter» am Hafen von Ückeritz trifft Genuss auf maritime Gelassenheit.

Kulturell zeigt sich Usedom auch im ruhigen Herbst überraschend vielfältig: Das Usedomer Musikfestival bringt Konzerte in Kirchen, Villen und Thermen – in diesem Jahr mit Finnland als Partnerland. Im Lichterwald von Ückeritz oder beim Feenfeuer in Zinnowitz tanzen Lichtinstallationen und verschmelzen auf poetische Weise mit der Natur.
Kulinarik: Von kreativ bis bodenständig
Wer Wärme sucht, findet sie in einem der stilvollen Spa-Hotels am Meer. Etwa im eleganten Steigenberger Grandhotel oder im modernen Hideaway «The Breeze». Und wenn sich der perfekte Inseltag dem Ende neigt, lockt die Kulinarik: Im «Kulmeck by Tom Wickboldt» trifft regionale Küche auf kreative Sternekunst.
Oder lieber bodenständig und herzhaft? Dann führt kein Weg an «Eddys Fischerhütte» vorbei. Seine Fischbuletten sind legendär, sein rauer Charme sowieso.
Eddy, einer der letzten Fischer der Insel, verabschiedet mich herzlich: «Bis bald. Wer einmal hier war, kommt immer wieder zurück.»