Das Asperger-Syndrom ist eine milde Form des Autismus. Für Erwachsene bedeutet eine späte Diagnose oft eine enorme Erleichterung und Antwort auf viele Fragen.
Asperger
Asperger bei Erwachsenen wird meist nur schwer diagnostisiert. - depositphotos
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Das Wichtigste in Kürze

  • Menschen mit Asperger-Syndrom leben meist völlig unauffällig in der Gesellschaft.
  • Viele haben sich schon als Kind entsprechende Schutzmechanismen angeeignet.
  • Die Diagnose wird häufig als befreiend empfunden.

«Der ist ein bisschen seltsam» wird häufig über Menschen gesagt, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Der Tonfall kann abfällig sein, verwundert und manchmal sogar bewundernd.

Heute ist klar: Hinter der scheinbaren Seltsamkeit verbirgt sich häufig das Asperger-Syndrom.

Umstrittener Arzt, wertvolle Erkenntnisse

Das Asperger-Syndrom wurde nach dem österreichischen Arzt Hans Asperger benannt, der sich in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts damit beschäftigte.

1943 veröffentlichte er einen Aufsatz, in dem er das Syndrom als autistische Psychopathie bezeichnete. Etwa zur gleichen Zeit erschien in den USA Leo Kanners Studio zum frühkindlichen Autismus.

Lange Zeit bleiben diese Forschungserkenntnisse unbeachtet, ehe sie in den 80er Jahren von der britischen Psychiaterin Lorna Wing aufgegriffen wurden.

1992 wurde das Asperger-Syndrom erstmals in das Klassifikationssystem der WHO übernommen.

Asperger
Das Asperger-Syndrom wurde nach dem österreichischen Arzt Hans Asperger benannt. - depositphotos

Nachdem bekannt wurde, dass Hans Asperger während es Zweiten Weltkriegs mit den Nationalsozialisten in Österreich kooperierte, verlor der Begriff Asperger-Syndrom an Zustimmung.

Zugleich wurde deutlich, dass sich Autismus kaum kategorisieren lässt. Daher ist heute von Autismus-Spektrum-Störungen die Rede.

Diagnosestellung bei Erwachsenen

Bis in die 90er-Jahre war Autismus fast nur in Form schwerer Störungen ein Begriff, bei denen Betroffene kaum mit der Welt kommunizieren konnten.

Erst mit der Erkenntnis, dass es sich um ein breites Spektrum mit vielen unterschiedlichen Ausprägungen handelte, konnte Autismus besser erkannt und behandelt werden.

Asperger
Asperger ist eine Form von Autismus. - depositphotos

Dies führte auch dazu, dass erwachsene Menschen erst in späteren Lebensjahren eine Diagnose erhielten. Häufig waren dies Menschen, die sich aufgrund eines anderen Problems wie Depressionen oder Angststörungen einem Therapeuten anvertrauten. Auch kommt es vor, dass das Asperger-Syndrom zunächst bei Kinder diagnostiziert wird und anschliessend bei ihren Eltern.

Probleme bei der sozialen Interaktion

Eine der wichtigsten Diagnose-Kriterien für das Asperger-Syndrom ist der Mangel an sozialer Interaktionsfähigkeit.

Aspies, wie Betroffene sich gerne selbst nennen, neigen zu sogenannten eigenbrötlerischen Tätigkeiten und können sich stundenlang hingebungsvoll mit ihren Hobbys beschäftigen. Small Talk fällt ihnen dagegen schwer.

Oft brüskieren sie andere Menschen mit einer brutal ehrlichen Art. Da sie nicht in der Lage sind, sich in andere hineinzuversetzen, verstehen sie nicht, dass ihre Bemerkung verletzend sein kann.

Körpersprache
Dazu fällt es ihnen schwer, Körpersprache und Gesichtsausdrücke zu lesen. - depositphotos

Das zweite Merkmal ist die scheinbare Besessenheit mit bestimmten Themen oder Interessen und das Bedürfnis an starren Ritualen. Da gerät schnell die ganze Welt aus den Fugen, wenn etwas nicht so läuft, wie es immer läuft.

Diagnose bei Frauen noch schwerer als bei Männern

Schon Hans Asperger führte seine Studien ausschliesslich mit männlichen Kindern und Jugendlichen durch. Über Jahrzehnte hinweg blieb das Asperger-Syndrom ein scheinbar exklusiv männliches Problem.

Erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch Mädchen und Frauen vom Asperger-Syndrom betroffen sein konnten. Doch während stille Beschäftigung mit sich selbst bei Jungen durchweg akzeptiert wurde und wird, werden Mädchen schon früh in viel sozialere Rollen gedrängt. Sie sollen sich mit Freundinnen umgeben, gemeinsam spielen und nett sein.

Aspies
Weibliche Aspies legen sich darum früh eine Art Schutzmaske zu. - depositphotos

Oft überkompensieren sie sogar und gelten als besonders freundlich, herzlich und kommunikativ. Allerdings leiden sie innerlich permanent unter dem Gefühl, eine Rolle zu spielen und nicht sie selbst sein zu dürfen.

Der Weg zur Diagnose

Da das Bewusstsein für die Vielfältigkeit autistischer Störungen stark gewachsen ist, erhalten Erwachsene heute viel leichter die richtige Diagnose. Der beste Weg dorthin führt über Psychiater und Psychotherapeuten.

Wer den Verdacht hegt, er könnte auf dem autistischen Spektrum sein, sollte sich professionelle Hilfe suchen.

Beratungsstellen
Beratungsstellen in der ganzen Schweiz helfen bei der Vermittlung. - depositphotos

Noch immer wird das Asperger-Syndrom in den Medien häufig als Krankheit bezeichnet. Dies macht es vielen Menschen schwer, die Diagnose zu akzeptieren.

Doch auch dies ändert sich allmählich, je mehr Menschen, die als Erwachsene ihre Diagnose erhielten, darüber berichten.

Das Asperger-Syndrom ist keine unheilbare Krankheit, sondern ein Aspekt der Persönlichkeit, mit dem es sich gut leben lässt.

Antworten auf viele Fragen

An erster Stelle steht bei vielen Erwachsenen die Erleichterung, nach vielen Jahren zu wissen, was mit ihnen los ist. Oft wurden sie seit der Jugend vom diffusen Gefühl geplagt, anders als der Norm zu sein, aber nicht zu wissen, warum.

Warum sie kaum Freunde hatten, warum Beziehungen scheiterten, warum sie sich unter Menschen nicht wohlfühlten.

Der Kontakt zu anderen erwachsenen Asperger-Autisten kann helfen, endlich die eigene Gemeinschaft zu finden.

Familienmitglieder
Neurotypische Freunde und Familienmitglieder können sich besser auf die Eigenheiten der Person einstellen. - depositphotos

Nicht zuletzt sollten die Eigenheiten des Syndroms als Chance begriffen werden. Aspies mit ihrer hohen Intelligenz und enormen Konzentrationsfähigkeit sind überdurchschnittlich erfolgreich, solange sie einen Beruf ergreifen können, der zu ihnen passt.

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