Mordprozess nach Messerattacke auf Fritz von Weizsäcker in Berlin begonnen
Mit der Verlesung der Anklage hat ein halbes Jahr nach dem tödlichen Messerangriff auf den Berliner Chefarzt Fritz von Weizsäcker am Dienstag vor dem Landgericht der Hauptstadt der Mordprozess gegen einen 57-Jährigen begonnen.

Das Wichtigste in Kürze
- 57-Jähriger soll Sohn von früherem Bundespräsidenten erstochen haben.
Gregor S. soll den Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 19. November bei einem Vortrag des Mediziners unvermittelt angegriffen und durch einen Halsstich mit einem Klappmesser getötet haben.
Von Weizsäcker war Chefarzt der Klinik für innere Medizin in der Berliner Schlossparkklinik - dort hatte sich genau ein halbes Jahr vor Prozessbeginn die Tat ereignet. Bei dem Vortrag soll S. sich gegen 18.50 Uhr von seinem Platz im Publikum erhoben haben, zu von Weizsäcker ans Podium geschritten sein und mit einem Klappmesser «völlig unvermittelt» und in Tötungsabsicht in den Hals des Arztes gestochen haben. Von Weizsäcker erlitt demnach eine Luftembolie, an der er kurz danach starb.
Bei der Tat war ein Polizeibeamter eingeschritten, der privat unter den Zuhörern der Veranstaltung war. Auf ihn soll der 57-Jährige ebenfalls mehrfach «während eines auf dem Boden ausgetragenen Kampfs» eingestochen haben, wie aus der Anklageschrift hervorgeht. Der Polizist konnte S. jedoch nach Angaben der Staatsanwaltschaft trotz schwerer eigener Schnittverletzungen an den Händen überwältigen und ihm das Messer entwenden.
S. werden wegen dieses zweiten Angriffs nicht nur Mord, sondern auch versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Der Angeklagte wurde noch am Tattag festgenommen.
S. verspüre «seit Längerem» Hass auf die Familie von Weizsäcker, wie es in der Anklageschrift zum Motiv hiess. Der Hass sei dadurch begründet, dass der ehemalige Bundespräsident von Weizsäcker «vermeintlich durch seine frühere Tätigkeit für das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim für die Produktion des Entlaubungsmittels Agent Orange mitverantwortlich sei».
US-Truppen hatten im Vietnamkrieg Millionen Liter Agent Orange im Süden von Vietnam versprüht. Das Gift wird bis heute für schwere Missbildungen, Krebserkrankungen und Behinderungen bei der vietnamesischen Bevölkerung verantwortlich gemacht.
«Aus Gründen der 'Kollektivschuld' wollte er solche Todesfälle an dem Sohn des ehemaligen Bundespräsidenten rächen», hiess es in der Anklageschrift. Die Firma Boehringer Ingelheim erklärte am Dienstag angesichts des Prozessauftakts, das Unternehmen habe kein Agent Orange hergestellt oder durch Vorprodukte oder Grundstoffe zu dessen Herstellung beigetragen.
Der 57-Jährige soll die Tat seit längerer Zeit geplant haben und eigens aus Rheinland-Pfalz angereist sein. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass S. die Tat «im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit» beging, er sei psychisch krank.
Die Frage der Schuldfähigkeit soll in der Hauptverhandlung mithilfe eines psychiatrischen Gutachters geklärt werden. Die Verteidigung kündigte am Dienstag an, S. werde sich beim nächsten Verhandlungstermin persönlich zu der Tat äussern und Fragen beantworten.
Als Arzt mit grosser Karriere stand Fritz von Weizsäcker fest in der Tradition der Familie von Weizsäcker, die seit vielen Jahrzehnten für bedeutende Politiker und Wissenschaftler steht. Die Tat löste bundesweit Bestürzung aus. Auch die Bundesregierung sprach von einem «entsetzlichen Schlag für die Familie».
Als Nebenkläger treten in der Verhandlung neben dem verletzten Polizisten auch zwei minderjährige Kinder des Mediziners und seine Schwester Beatrice auf, die auch als Buchautorin bekannt ist. Für den Prozess sind zunächst sechs Verhandlungstermine vorgesehen.