Über zwei Jahrzehnte waren die Patriots das Mass aller Dinge in der NFL. Jetzt stecken sie tief in der Krise. Trainerlegende Belichick bangt um sein Amt.
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Die New England Patriots machen in der NFL eine schwache Phase durch. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Patriots blamieren sich im Deutschland-Spiel gegen die Indianapolis Colts.
  • Seit Bradys Abgang 2020 taumeln die Patriots von einer Enttäuschung zur nächsten.
  • Die Krise der Patriots hat tiefgründigere Ursachen.
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«The Patriot Way»: Er steht für Erfolg durch harte Arbeit, Teamdisziplin und Selbstlosigkeit. Die Mannschaft steht stets an erster, der Spieler höchstens an zweiter Stelle. Knapp zwanzig Jahre lang prägten Quarterback Tom Brady und Cheftrainer Bill Belichick diese Erfolgsformel in New England.

In den neunzehn Saisons mit Brady und Belichick am Ruder gewannen die Patriots sechs Super Bowls, 13 AFC-Championships und 17 AFC-East-Divisionstitel.

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Tom Brady und die New England Patriots prägten eine Erfolgsgeschichte in der NFL. - keystone

Die Brady-Belichick-Ära in New England ist eine der erfolgreichsten und dominantesten Dynastien der Sportgeschichte. Am 21. März 2020 verliess Tom Brady die Patriots in Richtung Tampa Bay. Fortan lag die Erhaltung der Patriots-Doktrin allein in Belichicks Händen.

Belichick verzweifelt, Club-Boss enttäuscht

Vorgespult zum 12. November 2023: Die New England Patriots verlieren ihr achtes von zehn Saisonspielen gegen die Indianapolis Colts vor den Augen tausender deutscher Patriots-Fans in Frankfurt. Bilder eines verzweifelten Bill Belichicks, eines enttäuschten Clubpräsidenten und von tobenden Assistenztrainern gehen viral.

Die New England Patriots sind ein Schatten ihrer selbst. In dreieinhalb Saisons ohne Brady verlieren die Patriots mehr Heimspiele als während 19 Saisons mit ihm. Das Ende der Patriots-Dynastie mag durch Bradys Abschied eingeläutet worden sein – doch die jetzige Krise der New England Patriots greift tiefer.

Es tut weh hinzusehen

Es ist nach 2020 und 2022 die nächste verkorkste Saison für Belichick und die Patriots. Erstmals seit Prä-Brady-Zeiten stehen die Patriots bei einer Bilanz von sechs Spielen unter dem Verhältnis 0.500.

Schlechter gestartet ist Bill Belichick als Headcoach noch nie. In Woche 4 hatte er mit einer 3:38-Niederlage gegen die Cowboys die höchste Niederlage seiner 23-jährigen Cheftrainerkarriere zu verkraften. Was läuft schief in New England?

Bill Belichick
Das Gesicht von Bill Belichick spricht Bände. - keystone

In der Niederlage am Sonntag gegen die Colts kommen jene strukturellen Mängel zum Vorschein, welche die Patriots seit 2020 immer wieder plagen. Während die Defensive den Gegner bei nur zehn Punkten hält, schafft es die Offensive kein einziges Mal in die Endzone. Das ist heuer nichts Überraschendes: Die Patriots stellen die zweitschlechteste Offensive der Liga.

Das Laufspiel funktioniert nur phasenweise. Die Offensive-Line ist löchrig wie Schweizer Käse und lässt fünf Sacks zu. Derweil meidet Belichick das Passspiel über weite Teile der Partie, wahrscheinlich auch aus Angst, dass Quarterback Mac Jones wieder etwas Dummes anstellt.

Pats-QB nicht zu beneiden

Der ehemalige Erstrundenpick Jones spielt zum wiederholten Mal in dieser Saison eingeschüchtert und ohne Selbstbewusstsein. In der entscheidenden Phase des Spiels unterwirft er einen 15-Meter-Pass zu Tight End Mike Gesicki um ungefähr fünf Meter, sodass der Ball von der Colts Defensive problemlos abgefangen wird.

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Mac Jones überzeugt als QB der Patriots nicht. - keystone

Der 25-Jährige ist nicht zu beneiden, denn der Lapsus könnte sein Ende als Starting-Quarterback der Patriots bedeuten: In gewohnt gefühlsloser Manier setzt Belichick Jones für den spielentscheidenden Drive auf die Bank – die Höchststrafe für einen Quarterback. Sein Ersatz, Bailey Zappe, wirft anschliessend ebenfalls eine Interception und besiegelt die Niederlage.

Die Nebenwirkungen der «Patriots-Art»

Die Patriots waren freilich nie die Franchise mit den talentiertesten Spielern – bisweilen kämpften sie gar mit fundamentalen Löchern im Kader. Zusammen mit Brady konnte Belichick solche Defizite im Kader jedoch immer wieder wettmachen.

So boxten sich die Patriots beispielsweise 2015 trotz zweitschlechtester(!) O-Line der Liga und kaum Receiver-Talent irgendwie bis ins AFC-Championship-Final. Auch in den meisten Super-Bowl-Saisons spielten bei den Patriots neben Brady kaum grosse Namen.

Das Team war stets wichtiger als der Einzelspieler. Es gibt einen Job zu erledigen, ganz egal, von wem – der «Patriots-Way» eben.

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Seit Tom Brady und Bill Belichick getrennte Wege gehen, läuft es bei New England nicht mehr rund. - keystone

Seit Bradys Abgang scheint diese Rechnung nicht mehr aufzugehen. Doch es ist nicht nur die Quarterback-Position, die ein massives Downgrade erfahren hat. Es fehlt schlichtweg an zu vielen Ecken an Talent im Kader der Patriots, als dass es Belichick mit gutem Coaching kompensieren kann. Und das hat sich der 71-Jährige selber zuzuschreiben.

Durchwachsene Draft-Bilanz holt Belichick ein

Bill Belichick ist nämlich nicht nur Cheftrainer, sondern auch General Manager der New England Patriots. Damit ist er selber für die Zusammensetzung seines Kaders zuständig. Die Enttäuschung um 2021-Erstrundenpick Mac Jones ist dabei nur eines von vielen Beispielen der durchwachsenen Draft-Bilanz Belichicks.

In den vergangenen Jahren schien ihn der fanatische Glaube an den «Patriots Way» oft zu konservativen und mutlosen Draft-Picks zu bewegen.

Bill Belichick
Die Draft-Bilanz von Bill Belichick ist durchzogen. - keystone

Die Erstrundenpicks konnten die Erwartungen entweder nicht erfüllen oder waren von Beginn weg mehr als Lückenfüller denn als Leistungsträger vorgesehen.

Ein Beispiel: Belichick wählte im NFL-Draft 2022 den bei anderen GMs erst in der dritten Runde gehandelten Offensive Guard Cole Strange bereits an der 29. Stelle aus, nachdem die Patriots zuvor den 17. Pick weggetradet hatten. An jener Stelle wären Spieler wie Trent McDuffie, George Karlaftis oder Breece Hall verfügbar gewesen. Cole Strange hat heuer ein PFF-Rating von 51.0/100 und ist damit ligaweit bestenfalls Mittelmass.

Finden die New England Patriots den Weg zurück auf die Erfolgsspur?

Es fehlt Belichick schlicht an Mut im Draft. Möglicherweise haben ihn die Enttäuschungen um Mac Jones (2021) und N’Keal Harry (2019) zu vorsichtig gemacht. Auch in der Free Agency waren die Patriots in den vergangenen Jahren zu zurückhaltend und rekrutierten kaum Leistungsträger, wenn sie diese doch so dringend brauchten.

Ob auf GM- oder Trainerposition: Tapetenwechsel unumgänglich

Momentan stehen die Patriots in der provisorischen Reihenfolge des NFL-Drafts 2024 dank ihrer schlechten Bilanz an dritter Stelle. Es wäre die höchste Draftposition seit 30 Jahren. Es wäre charakteristisch für die Patriots, wenn Belichick auch dann den Top-Pick wegtraden würde, um anschliessend von einer tieferen Draftposition einen mittelmässigen Lückenfüller auszuwählen.

Bill Belichick hat Anfang Jahr seinen Vertrag über die kommende Saison hinaus verlängert. Präsident Robert Kraft hat bis jetzt noch keine Anstalten gemacht, diesen vorzeitig auflösen zu wollen. Zu Recht: Dafür ist Belichicks Verdienst in seiner 23-jährigen Laufbahn als Patriots-Coach zu hoch.

Wenngleich Belichicks Trainerqualitäten noch unangetastet bleiben, muss sich Kraft jedoch zumindest überlegen, ob auf der General Manager-Position nicht langsam ein Tapetenwechsel fällig ist.

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