Verletzungen haben die Sicherheitsdiskussionen um Kunstrasen in der NFL neu entfacht. Ein komplexer Zwist: Spieler fürchten sich, Besitzer wollen aber sparen.
Superstar Aaron Rodgers verletzt sich in seinem ersten Spiel für die New Jork Jets. - Twitter @NFL

Das Wichtigste in Kürze

  • NFL-Stars verlangen die Kunstrasen-Abschaffung wegen angeblich höherer Verletzungsgefahr.
  • Teambesitzer stellen sich aufgrund der höheren Kosten von Naturrasen quer.
  • Die Forschung ist gespalten.
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Aaron Rodgers Achillessehne reisst in NFL-Woche-1 auf der nördlichen 32-Yard-Markierung des Kunstrasenfeldes im MetLife Stadium in New Jersey. Drei Jahre zuvor, in Woche 2 der Saison 2020/2021, gibt fast exakt an derselben Stelle das Kreuzband von 49ers-Edge-Rusher Nick Bosa nach.

Der Zufall, dass dieses verheerende Verletzungsschicksal die beiden Superstars an der beinahe identischen Stelle ereilt, grenzt an Zynismus. Kein Zufall sei es jedoch, dass es auf dem Kunstrasen des MetLife Stadiums passierte. Das behaupten zumindest Vertreter der NFL Players Association (NFLPA), der Spielerunion der National Football League.

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Die Saison von Aaron Rodgers endet auf dem Kunstrasen des MetLife Stadiums in New Jersey. - Keystone

Diese hat die Liga in den vergangenen Jahren wiederholt dazu aufgefordert, die angeblich verletzungsbegünstigenden Kunstrasenunterlagen aus NFL-Stadien zu verbannen und mit Naturrasen zu ersetzen.

Die Ereignisse um Quarterback-Superstar Aaron Rodgers haben die langjährige und emotional geführte Diskussion um die erhöhte Verletzungsgefahr auf synthetischen Spielunterlagen neu befeuert. So verurteilte sein Ex-Packers-Teamkollege David Bakhtiari auf Schärfste die Unfähigkeit der NFL, ihre Spieler zu schützen: «Wie viele Spieler müssen sich noch auf Kunstrasen verletzen?», schrieb er auf X.

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David Bakhtiari verschafft seinem Ärger Luft. - X

Inzwischen bestätigten diverse Experten, dass ein natürlicher Spieluntergrund die Verletzung von Rodgers höchstwahrscheinlich nicht vermindert oder gar verhindert hätte. Die Rasen-Debatte ist damit jedoch keineswegs beigelegt. Es ist ein interner Streit um Kleinsummen innerhalb der reichsten Sportliga der Welt – und er ist geprägt von einer nebulösen Forschungslage, an der sich beide Parteien selektiv bedienen.

Geld regiert die NFL

Seit über zehn Jahren veröffentlicht die NFLPA in Zusammenarbeit mit dem Analytikunternehmen IQIVA nach jeder NFL-Saison eine Datenuntersuchung zur Verletzungshäufigkeit auf unterschiedlichen Spielunterlagen.

Sämtliche Zahlen mit Ausnahme von jener der vorletzten Saison zeichnen das gleiche Bild: NFL-Spieler verletzen sich häufiger auf Kunstrasen als auf Naturrasen.

In der abgelaufenen Saison passierten gar rund 37 Prozent mehr Verletzungen auf synthetischen als auf natürlichen Unterböden. Der Wechsel von Kunst- auf Naturrasen in sämtlichen NFL-Stadien sei darum «die einfachste Entscheidung, die die NFL treffen kann». Das schrieb Unionspräsident Lloyd Howell kürzlich in einer aufgebrachten Stellungnahme zum Thema.

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Die Tennessee Titans setzen seit dieser Saison wieder auf Kunstrasen. - Keystone

Trotzdem: Etwa die Tennessee Titans tauschten diese Saison ihren Naturrasen im Nissan-Stadium in Nashville gegen ein synthetisches Pendent neuster Generation. Was steckt hinter diesem Irrwitz? Wenig überraschend spielt Geld dabei eine entscheidende Rolle.

Denn Kunstrasen ist finanziell schlichtweg lukrativer als Naturrasen. Die Instandhaltung ist wesentlich günstiger und weniger aufwendig. Vor allem die Wartung von Naturrasen in nicht überdachten Stadien in gemässigten Breiten gestaltet sich als besonders schwierig. Weil man der Witterung des nordamerikanischen Winters während der NFL-Saison schutzlos ausgesetzt ist.

Den Wechsel auf Synthetik begründen denn auch die Titans so: Langjährige Mühen, einen Naturrasen in einer Übergangsklimazone über eine gesamte NFL-Saison hinweg zu pflegen.

Ausserdem können synthetische Unterlagen im Gegensatz zu natürlichen ohne grosse Rasenabnutzung für externe Events zur Verfügung gestellt werden. Etwa Konzerte wie jene von Taylor Swift in den Stadien der Indianapolis Colts und New Orleans Saints im kommenden Jahr. Diese speisen wichtige Gelder in die Kassen der Franchisen.

Forschung ist sich uneinig

Teambesitzer wie Jerry Jones (Cowboys) oder Stan Kroenke (Chargers) rechtfertigen ihr stures Kunstrasen-Verharren mit Studien aus einem zerstrittenen Forschungsfeld.

Zwar verneinen immer mehr sportmedizinische Studien die These einer erhöhten Verletzungsgefahr auf Kunstrasen. Synthetischer Rasen der neusten Generation soll gar eine leicht geringere Verletzungsgefahr aufweisen. Das behauptet eine kürzlich veröffentliche Studie der finnischen Kuopio-Universität.

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Das Vermögen von Dallas-Cowboys-Owner Jerry Jones wird auf 13,6 Milliarden Dollar geschätzt. - Keystone

Gleichzeitig ist auch die Anzahl an Studien hoch, die zu gegenteiligen Resultaten gelangen und damit die Statistiken der NFLPA stützen. Diese Widersprüchlichkeit innerhalb des Forschungsfeldes zeigt die Komplexität der Thematik. Und legt die Annahme nahe, dass die Forschung nicht unbeeinflusst von den jeweiligen Agenden der Beteiligten bleibt.

Das sagen die Spieler

Auch innerhalb der einzelnen Organisationen stehen sich konkurrierende Ansichten zum Thema gegenüber. Das zeigt etwa das Beispiel der Dallas Cowboys.

Edge-Rusher Micah Parsons behauptete in einem Interview jüngst: Ihm wäre es eigentlich egal, auf welchem Boden er spiele und er dies wenn nötig auch auf Betonuntergrund tun würde.

Quarterback Dak Prescott wurde vor zwei Jahren selbst Opfer des «Kunstrasenteufels» und brach sich im eigenen Stadion den Knöchel. Der Superstar rügte den Teamkollegen für seine Aussage: «Er ist noch jung.»

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Dak Prescott, Quarterback der Dallas Cowboys, hat eine klare Meinung zu Kunsträsen in der NFL. - Twitter

Prescott würde immer Natur- vor Kunstrasen wählen und setzt sich für die Einführung von Naturrasen in allen Stadien ein. Ähnlich geht es auch Passempfänger CeeDee Lamb. Dieser wandte sich indirekt an Teambesitzer Jerry Jones: «Ich kann ihm nichts einreden, aber wir brauchen Naturrasen.»

Besitzer beugen sich für die Fifa

Dabei haben die Teambesitzer kürzlich bewiesen, dass sie sich den Wünschen nach natürlichem Grün in den Stadien durchaus fügen können: für den Fussball nämlich.

Im Rahmen ihrer Regelung für die Weltmeisterschaft 2026 hat die Fifa sieben NFL-Spielstätten förmlich dazu genötigt, ihre Kunstrasenunterlage für den Verlauf des Turniers mit Naturrasen auszutauschen. Ganz zum Ärger vieler NFL-Spieler werden die Stadien jedoch den Rasen nach der Fussball-Weltmeisterschaft wieder auswechseln.

Dass sich die NFL der Fifa beugt, sorgt für Diskussionen. - X @ Pat McAfee

Dabei hätten die Organisationen gute Gründe, auch über die Weltmeisterschaft hinaus am Naturrasen festzuhalten: Gemäss einer Analyse von Forbes könne die Liga damit langfristig rund eine Milliarde Dollar in Klagen von Ex-Spielern wegen der Langzeitfolgen von Hirntraumata sparen. Eine Berechnung, die allerdings auch auf der kontroversen Annahme fusst, dass Kunstrasen traumatische Kopfverletzungen begünstigt.

Ein Umbau auf Naturrasen würde sich ligaweit bei Ausgaben von insgesamt zehn bis zwölf Millionen Dollar einpendeln. Die jährlichen Wartungskosten belaufen sich in den meisten Fällen auf höchstens 50'000 Dollar. Es sind Summen wie Kleingeld für die meisten Teambesitzer.

Jerry Jones‘ Vermögen wird auf 13,6 Milliarden Dollar geschätzt, Kroenkes auf 12,9 Milliarden. Der Kunstrasenfetisch einiger Teambosse ist darum nur schwer nachvollziehbar.

NFL-Commissioner Roger Goodell lässt derweil Nuanciertheit walten und unterstreicht die Komplexität der Angelegenheit: «Wir wollen das Beste aus der Sicht der Verletzungsvermeidung wählen», so Goodell diplomatisch. Weniger durchdacht ist seine Aussage, dass manche Spieler angeblich Kunstrasen bevorzugen, weil er sie schneller mache ...

Was mögen Sie lieber bei Sportplätzen?

Diese Stadien der NFL sind mit Kunstrasen ausgestattet:

- AT&T Stadium: Dallas Cowboys

- Bank of America Stadium: Carolina Panthers

- Caesars Superdome: New Orleans Saints

- Ford Field: Detroit Lions

- Highmark Stadium: Buffalo Bills

- Lucas Oil Stadium: Indianapolis Colts

- Lumen Field: Seattle Seahawks

- Mercedes-Benz Stadium: Atlanta Falcons

- MetLife Stadium: New York Giants und Jets

- NRG Stadium: Houston Texans

- Paycor Stadium: Cincinnati Bengals

- SoFi Stadium: Los Angeles Chargers und Rams

In rund der Hälfte aller NFL-Stadien steht ein Kunstrasenfeld. Dabei ist auffällig, dass sich darunter auch zahlreiche Stadien im Süden des Landes befinden. Obschon dort die Wartung eines Naturrasens grundsätzlich leichter ist.

Die Las Vegas Raiders und die Arizona Cardinals haben derweil in ihren neuen Stadien ausgeklügelte Instandhaltungssysteme für Naturrasen installiert.

Green Bay Packers als Vorzeigebeispiel – beliebtester Rasen der NFL

Dass hochwertiger Rasen auch im Norden funktioniert, zeigen die Green Bay Packers. Im legendären Lambeau-Field in Green Bay, Wisconsin, steht einen Hybrid-Rasen. Dieser besteht allerdings zum grössten Teil aus natürlichem Gras. 2021 beliefen sich die Instandhaltungskosten gemäss Jahresbericht auf mikrige 30'000 Dollar.

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Der beliebteste Rasen der NFL ist jener im Lambeau Field. - Keystone

Der Lambeau-Rasen hält auch den Minustemperaturen und Schneemengen des Wisconser Winters stand und gilt als beliebtester Untergrund bei den NFL-Spielern.

Es ist passend, dass der beste Rasen der NFL im Stadion der einzigen Organisation steht, die keinen Owner hat: Die Packers stehen im öffentlichen Besitz. Die Gesundheit und Zufriedenheit ihrer Spieler scheint es den über 500'000 Anteilseignern wert zu sein.

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