Die Ex-DFB-Funktionäre wollen nicht zum Sommermärchen-Prozess in die Schweiz reisen. Wegen gesundheitlicher Probleme. Dazu kommt die Sorge vor dem Coronavirus. Aufklärung wird es nicht nur deshalb kaum geben - diejenigen, die wirklich etwas wissen, schweigen beharrlich.
Theo Zwanziger ist auch aus Sorge vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus nicht zum Prozess in die Schweiz gereist. Foto: Boris Roessler/dpa
Theo Zwanziger ist auch aus Sorge vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus nicht zum Prozess in die Schweiz gereist. Foto: Boris Roessler/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Was Mohamed bin Hammam wohl gerade umtreibt? Sollte der 70-Jährige, einst eine der skandalösesten Figuren im Weltfussball, auch nur am Rande verfolgen, welche Wirrungen der Prozess um das deutsche Sommermärchen 2006 in der Schweiz nimmt - er dürfte erheitert sein.

Zuletzt stand der eigentlich für Montag anberaumte Verhandlungsbeginn vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona wegen des Coronavirus auf der Kippe. Und auf der Anklagebank droht gähnende Leere: Zwei der drei beschuldigten Ex-Funktionäre des Deutschen Fussball-Bundes haben eine Reise in die Schweiz definitiv ausgeschlossen.

Die ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger (74) und Wolfgang Niersbach (69) begründeten ihre Entscheidung mit gesundheitlichen Problemen und der Sorge vor der Ausbreitung von Sars-CoV-2. Der ebenfalls angeklagte Ex-Generalsekretär des Verbandes, Horst R. Schmidt (78), dürfte aus ähnlichen Gründen fernbleiben. Verantworten muss sich zudem der Schweizer Urs Linsi (70), einst FIFA-Generalsekretär. Am Freitag hatte das Gericht beschlossen, die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten. Jeder Person werde «bei Eintritt in das Gerichtsgebäude die Körpertemperatur gemessen». Niersbachs Anwälte bezeichneten das als «völlig inakzeptabel», der Öffentlichkeitsgrundsatz sei ein «elementares Verfahrensgrundrecht».

Linsi werde am Montag vor Gericht erscheinen, «wenn nichts dazwischen kommt», zitierte die Schweizer Zeitung «Tagesanzeiger» vor dem Wochenende einen Sprecher des Angeklagten. Dem Quartett wird ungetreue Geschäftsbesorgung vorgeworfen. Als Zeugen sind Ex-FIFA-Boss Joseph Blatter, Günter Netzer und der damalige WM-Organisationschef Franz Beckenbauer geladen. Geplant sind zunächst zwölf Prozesstage. Für den Fall, dass die Angeklagten am Montag nicht erscheinen, hatte das Gericht bereits angekündigt, die Hauptverhandlung erst am Mittwoch starten zu wollen - dann auch ohne die Beschuldigten. Laut Prozessplan sollen Blatter und Netzer am 12. März befragt werden. Beckenbauer wäre tags darauf an der Reihe.

Das Verfahren gegen den 74-Jährigen war wegen dessen Gesundheitszustandes abgetrennt worden. Ob er dann als «Auskunftsperson» auftritt? Auch eine Videoschalte wäre möglich. Das Gericht steht unter Zeitdruck: Spätestens am 27. April muss ein erstinstanzliches Urteil gefällt werden, weil sonst die Verjährung eintritt. Eine Gefängnisstrafe haben die deutschen Funktionäre ohnehin kaum zu befürchten, laut «Spiegel» wurde ihnen «freies Geleit» zurück nach Deutschland zugesichert.

Zur Aufklärung des Skandals um die ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro im Jahr 2005 hat bislang keiner der Beteiligten erhellende Details beigetragen. Die Affäre wurde bereits 2015 aufgedeckt. In Deutschland ermittelten die Behörden in Frankfurt/Main. Das Verfahren in der Schweiz wurde jüngst von der Nähe des Bundesanwaltes Michael Lauber zu FIFA-Präsident Gianni Infantino belastet. Der DFB hatte zudem selbst eine Anwaltskanzlei mit Nachforschungen beauftragt. Die Ergebnisse blieben überschaubar, was vor allem auch an Bin Hammam liegt.

Bei dem damaligen FIFA-Finanzchef landete im Jahr 2002 eine Zahlung derselben Summe, angewiesen von Beckenbauer und dessen Vertrauten. Der frühere Organisationschef der WM 2006 hatte sich das Geld beim Unternehmer Robert Louis-Dreyfus geliehen. Die Begründung: Das Geld habe für einen millionenschweren Zuschuss der FIFA zum späteren Sommermärchen fliessen müssen. Der Weltverband selbst bestreitet diese Version.

Der wahre Zweck der Überweisung von 2002 bleibt deshalb weiterhin ungeklärt. Eine Bestechungszahlung im FIFA-Präsidentschaftswahlkampf? Oder eine nachträgliche Überweisung für die nötigen Stimmen bei der WM-Vergabe nach Deutschland im Jahr 2000? Auch über einen privaten TV-Rechte-Deal von Beckenbauer wird spekuliert. Bin Hammam ist in der Schweiz weder angeklagt noch als Zeuge geladen.

Der DFB tritt in dem Prozess als Nebenkläger auf. «Scheinbar sind da Sachen gelaufen, die man nur kriminell nennen kann», sagte der neue DFB-Präsident Fitz Keller im ZDF. Er äusserte die «grösste Bitte, endlich mit der Wahrheit auf den Tisch zu kommen, damit wir uns nicht mehr mit so etwas beschäftigen müssen».

Ausgestanden ist die Affäre aber auch dann nicht, wenn die Verhandlung in Bellinzona nicht zum Showprozess verkommt. Die Schweizer sehen sich zuständig, weil für die Zahlungen auch Schweizer Bankkonten verwendet worden sind, zudem war 2005 die in der Schweiz ansässige FIFA involviert.

In Deutschland steht aber weiterhin eine Verfahrenseröffnung in Frankfurt/Main wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung im Raum. Die damaligen DFB-Funktionäre hatten die Überweisung 2005 als Beitrag zu einem Kulturprogramm für die WM 2006 deklariert - das aber so nie stattgefunden hat.

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