Kurz vor der Volljährigkeit feiert Robin Gosens noch die Nächte in der Dorfdisco durch. Heute spielt der Linksverteidiger in der Champions League und der Nationalmannschaft. Er lebt seinen Traum.
Nationalspieler Robin Gosens spielt in der Serie A für Atalanta Bergamo. Foto: Bernd Thissen/dpa
Nationalspieler Robin Gosens spielt in der Serie A für Atalanta Bergamo. Foto: Bernd Thissen/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Er hatte eine Profikarriere längst abgehakt: Als Robin Gosens 2011 zu einem Probetraining bei Borussia Dortmund eingeladen wird, gelingt ihm nichts.

«Aus mir würde nie ein professioneller Fussballspieler werden. Niemals», schreibt er in seiner Autobiografie «Träumen lohnt sich». Trotzdem spielt er heute auf Europas grösster Bühne und in der Nationalmannschaft. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur redet Gosens über seinen ungewöhnlichen Weg und warum dem Fussball die Typen fehlen.

Robin Gosens, was haben Sie am 13. Juli 2014 gemacht?

Gosens: (überlegt) Hm, das ist lange her.

Ich gebe Ihnen einen Tipp, zu der Zeit fand ein grosses Turnier in Brasilien statt.

Gosens: Ah, die WM? Haben wir an dem Tag den Titel geholt?

Genau, an dem Tag hat Deutschland gegen Argentinien das WM-Finale gewonnen. Und Robin Gosens war gerade 20 Jahre alt und ist kurz vorher mit dem FC Dordrecht in die erste niederländische Liga aufgestiegen.

Gosens: Ich weiss noch, dass meine Freunde und ich an dem Tag auf einer Fanmeile waren, ich glaube in Bocholt. Da haben wir eigentlich jedes WM-Spiel geguckt. Als Mario Götze dann das Tor gemacht hat, war natürlich völlige Eskalation. Ich habe lauthals geschrien und bin fast in Freudentränen ausgebrochen. Das war eine geile Zeit.

Fast genau sechs Jahre später, im August 2020, klingelt Ihr Handy und Joachim Löw ist dran. Der Bundestrainer, den Sie auf der Fanmeile bejubelt haben.

Gosens: Das war einer dieser magischen Momente, von denen man als Mensch nur ganz wenige im Leben miterleben darf. Jeder hat so ein, zwei, drei magische Momente, wo man nicht glauben kann, was gerade passiert. Der Anruf kam für mich zu dem Zeitpunkt so überraschend, ich dachte echt: Das kann jetzt nicht wahr sein! Ich kriege immer noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.

Glauben Sie, dass Löw sich kurz vor der Europameisterschaft wieder bei Ihnen meldet?

Gosens: Ich hoffe es natürlich. Eine EM zu spielen, wäre das Allerschönste. Ich glaube, dass ich aktuell relativ nah dran bin. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich da keinen Bock drauf hätte.

Ihre Geschichte ist eine besondere, weshalb Sie nun mit 26 Jahren Ihre Autobiografie geschrieben haben. Sie waren nie in einem Nachwuchsleistungszentrum, haben nie in der Bundesliga gespielt. Wird sowas nochmal möglich sein?

Gosens: Ich kann mir zumindest nicht vorstellen, dass es die Regel werden wird. Ich bin aber auch nicht das einzige Beispiel, Miro Klose ist ja einen ähnlichen Weg gegangen, der hat am Anfang sogar noch in der Bezirksliga gespielt. Aber wir werden Einzelfälle bleiben. Dafür ist das System mit Internaten und Nachwuchsleistungszentren in Deutschland zu wichtig.

Aber bleibt durch dieses System nicht der ein oder andere Robin Gosens unentdeckt?

Gosens: Das ist die Gefahr, die man eingeht. Ich war in meiner Jugend eben nicht dieser krass auffällige Spieler, der auf jeden einen Rieseneindruck gemacht hat. Kaum einer hat gesagt: Der kann so gut kicken, der muss irgendwann Profi werden! Und da gibt es schon sicher noch den einen oder anderen Spieler, der das Potenzial hat, aber lange unentdeckt bleibt. Da gehört auch die ordentliche Portion Glück dazu, die ich auch hatte.

In Ihrem Buch schreiben Sie von Dorfpartys mit Freunden, wo auch das ein oder andere Kaltgetränk genossen wurde. Eigentlich nichts Besonderes, die meisten Profis würden sich aber heutzutage nicht trauen, über so etwas zu reden. Kriegen wir durch die Nachwuchsleistungszentren nur noch gleiche Typen?

Gosens: Ich glaube, dass man als Verantwortlicher in so einem Nachwuchsleistungszentrum sicher eine Vision hat, wie die Spieler später werden sollen. Danach werden dann die Spieler geformt. Wenn man durch’s Raster fällt, kriegt man eine Rüge. Und im zweiten Fall bist du dann vielleicht weg vom Fenster. Die Kids, die da gross werden und Profis werden wollen, werden sich also möglichst an die Regeln halten. Darum kann das schon sein, dass sie ähnlich ticken später. Ich will das aber auch gar nicht verteufeln. Ich hab für mich meinen Weg gefunden und bin froh, dass ich nie jemanden hatte, der mir gesagt hat: Pass mal auf, so geht das nicht, das darfst du nicht sagen. Auf der anderen Seite biete ich natürlich auch eine grosse Angriffsfläche mit manchen meiner Aussagen.

Ist das so schlimm?

Gosens: Ich glaube schon, dass es das Ziel vieler Vereine ist, diese Angriffsfläche wegzunehmen, damit die Spieler diese Bandbreite an Kritik nicht ertragen müssen. Also sagen sie vielleicht irgendwann nur noch langweilige Dinge. Das ist die Gefahr, dass nämlich die Charaktere, die so wichtig sind für den Fussball, verloren gehen.

Wurden Sie auch schon heftig kritisiert für Dinge, die Sie gesagt haben?

Gosens: Klar, ist gar nicht so lange her. Ich hab mich vor ein paar Tagen kritisch zur Idee einer Super League geäussert. Ein paar italienische Medien haben die Aussagen dann ein wenig aus dem Kontext gerissen, um eine Schlagzeile zu produzieren. Ich konnte einen Tag lang nicht meinen Instagram-Account aufmachen, weil die Nachrichten an mich explodiert sind nach dem Motto: Wie kann der Gosens sowas sagen, wo er so viel Geld in diesem System Fussball verdient? Das finde ich unfassbar, weil ich nicht verstehe, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Ich bin mir selbstverständlich bewusst, dass ich in einer privilegierten Lage bin, aber deswegen darf ich mich doch trotzdem zu Thematiken äussern, zu denen ich eine Meinung habe oder die mich direkt betreffen, oder? Das hat mich echt getroffen.

Werden Sie sich deswegen in Zukunft zurückhalten? Also wird Robin Gosens künftig lieber langweilig sein?

Gosens: Nein, ich lasse mich sicherlich nicht von meinem Weg abbringen. Ich glaube, es ist auch einfach wichtig, seine Meinung zu sagen. Man sieht auch an diesem Beispiel, was für eine Reichweite das hat, wie viele Menschen damit erreicht werden. Natürlich kann ich dann auch Kritik dafür kriegen. Was ich dann immer mache, ist mich selber reflektieren: Haben die da vielleicht jetzt einen Punkt? Etwas, das ich annehmen kann? Oder wollen sie einfach nur auf mir rumhacken, mich fertigmachen? Aber von meiner Meinung werde ich mich nicht abbringen lassen.

ZUR PERSON: Robin Gosens (26) hat nie ein Nachwuchsleistungszentrum besucht und spielte bis zur A-Jugend in der Provinz beim VfL Rhede. Trotzdem ist der Profi von Atalanta Bergamo heute Nationalspieler. Über seinen aussergewöhnlichen Weg schreibt der Linksverteidiger in seiner Autobiographie «Träumen lohnt sich».

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