Thalmann-Bieri: Individualbesteuerung bringt tiefgreifende Folgen
Im Gastbeitrag spricht sich SVP-Nationalrätin Vroni Thalmann-Bieri gegen die Individualbesteuerung aus. Eine Unterschriftensammlung laufe bereits.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Einführung der Individualbesteuerung entspricht einem fundamentalen Paradigmenwechsel.
- Im Gastbeitrag spricht sich SVP-Nationalrätin Thalmann-Bieri vehement dagegen aus.
- Ohne Rücksicht auf Lebensrealitäten führe die Besteuerung zu neuen Ungerechtigkeiten.
Auch ich bin für die Abschaffung der Heiratsstrafe. Aber sicher nicht mit einem derart grossen Bürokratiemonster.
Neu müsste jede Person eine eigene Steuererklärung ausfüllen, auch wenn man verheiratet ist. Das kann nicht das Ziel sein.
Deshalb sind wir am Unterschriften sammeln fürs Referendum, damit das betroffene Volk darüber abstimmen kann.
Folgen der Individualbesteuerung werden ausgeblendet
Es ist noch nicht lange her, da wurde vehement für die «Ehe für alle» gekämpft – und nun straft man genau dieselben Paare/Familien wieder ab und nötigt sie zu zwei Steuererklärungen.
Die Einführung der Individualbesteuerung entspricht einem fundamentalen Paradigmenwechsel: Was bislang gemeinsam erwirtschaftet und versteuert wurde, soll künftig künstlich und bürokratisch getrennt werden.

Dieser Systembruch bringt tiefgreifende rechtliche, praktische und gesellschaftliche Folgen mit sich, die in der politischen Debatte allzu gerne ausgeblendet werden.
Ehepaare müssen zukünftig «jedes Jahr eine finanzielle Scheidung vollziehen»
Konkret bedeutet die Individualbesteuerung, dass jedes Ehepaar künftig zwei separate Steuererklärungen ausfüllen muss.
De facto werden sie jährlich von den Steuerbehörden verpflichtet, eine administrative Scheidung vorzunehmen. Wer ist Eigentümer des Hauses? Wem gehört das Sparkonto? Wer zahlt die Hypothek? Und wer darf welchen Steuerabzug geltend machen?
Diese Fragen, die sich viele Paare im Alltag gar nicht stellen – oder bewusst gemeinschaftlich beantworten – werden durch die Individualbesteuerung zu komplexen, formalisierten Entscheidungszwängen.
Ehepaare, die im Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung leben, müssen gewissermassen jedes Jahr eine finanzielle Scheidung vollziehen, um den Anforderungen der Steuerform zu genügen.
Abgrenzungsprobleme bei gemeinschaftlich genutztem Eigentum
Gerade bei gemeinschaftlich genutztem Eigentum, wie beispielsweise ein Familienwagen, oder bei ungleichen Erwerbsverhältnissen entstehen zahlreiche Abgrenzungsprobleme.
Wer kein Erwerbseinkommen erzielt, aber formal Eigentümer der gemeinsam bewohnten Liegenschaft ist, muss den Eigenmietwert neu versteuern. Der Abzug für Unterhaltskosten steht hingegen dem Partner zu, der diese Ausgaben trägt.

Auch bei Drittbetreuungskosten für Kinder, Unterhaltszahlungen oder Schuldzinsen entstehen Zuordnungsfragen, die nicht nur die Steuerpflichtigen selbst, sondern auch die kantonalen Steuerbehörden vor neue, aufwändige Herausforderungen stellen.
Individualbesteuerung ist ein Rückschritt
Die behauptete Vereinfachung durch die Einführung der Individualbesteuerung erweist sich somit als teures Instrument der Bürokratie.
Sie bringt nicht mehr Gleichheit, sondern mehr Komplexität ins System. Und sie ersetzt das klare und gerechte Konzept der gemeinsamen wirtschaftlichen Verantwortung durch eine steuerliche Scheidung, die in Wirklichkeit von den meisten Familien gar nicht umgesetzt werden kann.
Aus Sicht der SVP ist dies kein Fortschritt, sondern ein ideologisch motivierter Rückschritt mit erheblichen Folgekosten für Verwaltung, Justiz und Steuerzahlende.
Wer den Begriff «Gleichbehandlung» ernst nimmt, darf nicht übersehen, dass ohne Rücksicht auf Lebensrealitäten die Individualbesteuerung zu neuen Ungerechtigkeiten führt.
***
Zur Autorin: Vroni Thalmann-Bieri (*1969) lebt in Flühli LU und ist seit 2023 Nationalrätin für die SVP.