Kontroversen um zweite Säule halten auch nach klarem Volks-Nein an
Die Linke möchte die Renten von Frauen mit Betreuungsgutschriften verbessern. Der Gewerbeverband fordert ein höheres Rentenalter. Nach dem deutlichen Nein zur BVG-Reform gehen die Interpretationen des Abstimmungsergebnisses ebenso auseinander wie die Vorstellungen zum weiteren Vorgehen.
Von einer verpassten Chance, die Altersvorsorge an die gesellschaftliche Realität anzupassen, schrieb am Sonntag das Ja-Komitee. Heftig fiel die Kritik der FDP aus. Linke und Gewerkschaften hätten mit einer faktenwidrigen Kampagne verhindert, dass rund 359'000 Personen eine höhere Rente aufbauen könnten, kritisierte sie am Sonntag.
Weil auch die AHV angeschlagen sei, müsse nun der Grundsatz «Rentensicherheit vor Leistungsausbau» gelten.
Die Mitte-Partei warf den Gegnerinnen und Gegnern der BVG-Reform ebenfalls vor, mit falschen Zahlen operiert zu haben.
Es gelte weiterhin, Lösungen zu finden für Teilzeitarbeitende und Leute mit mehreren Arbeitgebern. Auch müssten die Lohnbeiträge für ältere Arbeitnehmende angepasst werden, um deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.
Auch der Frauendachverband Alliance F bedauerte das Scheitern der Reform. Damit stehe die Schweiz in den Bemühungen, die Altersvorsorge von Frauen zu verbessern, wieder auf Feld eins.
Reaktionen auf das Abstimmungsresultat
Das Abstimmungsresultat sei ein überdeutliches Zeichen an die Bundespolitik und die Pensionskassen, teilte dagegen der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) mit. Eine Mehrheit der Stimmberechtigten sei der klaren Meinung, dass das Rentenniveau in der Schweiz gerade für mittlere Einkommen keine Senkung vertrage.
Ins gleiche Horn stiess der Gewerkschaftsdachverband Travailsuisse. Er stellte sich auf den Standpunkt, die Reform hätte das Problem der zu tiefen Frauenrenten nicht gelöst.
Die SP begrüsste das Nein zur BVG-Reform als Erfolg für die Kaufkraft der Bevölkerung.
Für einen neuen Anlauf zur Pensionskassenreform nannte die Partei drei Eckpunkte. Zum einen will sie weniger Rendite für Banken und Versicherungen. Zudem brauche es künftig einen Teuerungsausgleich bei bestehenden Renten, um die Kaufkraft zu schützen, sowie bessere Frauenrenten.
Erreichen will die Partei dies konkret über die Einführung von Betreuungsgutschriften in der zweiten Säule. Auch die Grünen schlossen sich am Sonntag dieser Forderung an.
Für die SVP bedeutet das Nein zur BVG-Reform hingegen, dass die Bevölkerung «keine BVG-Experimente» will.
Die Pläne der Linken seien komplett verantwortungslos, schrieb die Partei. Damit würde das bewährte Dreisäulenmodell finanziell an die Wand gefahren.
Der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV) stellte sich ebenfalls umgehend gegen alle Ausbaupläne.
Kritik und Forderungen nach dem Volksentscheid
Die gewünschte Stabilisierung der zweiten Säule sei einmal mehr verpasst worden.
Die Grünliberalen wollen wie die restlichen bürgerlichen Parteien nicht am Dreisäulensystem rütteln. Vielmehr müsse die Blockadepolitik überwunden werden, forderten sie.
Weiter geht der Schweizerische Gewerbeverband (SGV). Er will sich nach dem Nein zur BVG-Reform für eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters einsetzen. Es brauche eine ehrgeizige AHV-Reform, die den demografischen Wandel berücksichtige. Dies werde auch die zweite Säule stärken.
Der Pensionskassenverband Asip forderte einen Marschhalt nach dem Volksentscheid. Man nehme das Nein zur Kenntnis, schrieb der Verband. Wie der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse betonte er, der Reformbedarf in der Altersvorsoge bleibe bestehen.
Der Gastronomieverband Gastrosuisse begrüsste das Nein hingegen. Das Schweizer Stimmvolk habe sich damit gegen eine willkürliche Umverteilung gestellt. Der Gastronomieverband war Teil der Wirtschaftsallianz «Nein zur BVG-Scheinreform». Dazu gehörten auch der Westschweizer Arbeitgeberverband Centre Patronal und mehrere kleinere Branchenverbände.
Schon kurz nach Schliessung der Urnen am Mittag hatte Mitte-Präsident Gerhard Pfister die Uneinigkeit innerhalb des bürgerlichen Lagers als einen Grund für das Scheitern der BVG-Reform bezeichnet. Die bürgerliche Ja-Allianz sei von Teilen der SVP aufgekündigt worden. Auch innerhalb der FDP habe es prominente Stimmen aus dem Ständerat gegeben, die sich gegen die Vorlage gewandt hätten, sagte Pfister dem Schweizer Radio SRF.