Im Interview sprechen Martina Piffner Müller und Bruno Lüscher (beide FDP) über die Initiative «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Pflegeeinrichtungen».
Bruno Lüscher Martina Pfiffner
Bruno Lüscher (l) und Martina Pfiffner Müller (r) sind FDP-Kantonsräte im Thurgau. - FDP Thurgau

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Thurgauer Grossrat wird über Selbstbestimmung am Lebensende gesprochen.
  • Dies fordert eine Initiative, welche alle öffentlich unterstützten Einrichtungen beträfe.
  • Die Pflegeheime müssten dann Sterbehilfe in ihren Räumlichkeiten zulassen.
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Der Thurgauer Kantonsrat wird am 28. Februar 2024 über parlamentarische Initiative «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Pflegeeinrichtungen» sprechen. Durch die Initiative müssten künftig alle Pflegeeinrichtungen, welche mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden, Sterbehilfe zulassen.

Nau.ch hat mit Martina Pfiffner Müller (FDP), Erstunterzeichnerin und Fraktionssprecherin sowie Bruno Lüscher (FDP), Initiant und Vorstösser der Initiative gesprochen.

Nau.ch: Unterstützt die FDP-Fraktion die parlamentarische Initiative «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Pflegeeinrichtungen»?

Pfiffner & Lüscher: Die Fraktion entscheidet definitiv am 28. Februar. Die Antworten sind persönliche Äusserungen von Martina Pfiffner Müller und Bruno Lüscher.

Pflegeheim
Am 28. Februar wird die parlamentarische Initiative «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Pflegeeinrichtungen» im Kantonsrat von Thurgau besprochen. (Symbolbild) - keystone

Nau.ch: Der Regierungsrat lehnt die Initiative ab. Schon heute gebe es in 60 Prozent der Pflegeplätze die Möglichkeit assistierte Suizide in Anspruch zu nehmen: «Die heutige Wahlfreiheit ist für die Institutionen die ausgewogene Lösung». Wie ordnen Sie dies ein?

Pfiffner & Lüscher: Das Argument der Wahlfreiheit ist kein Grund, die Verpflichtung, dass alle Pflegeeinrichtungen ihre Räumlichkeiten für assistierte Suizide zur Verfügung stellen müssen, abzulehnen. Menschen, die vor einem Heimeintritt stehen, haben viel mehr mit dem Umstand zu kämpfen, dass sie ihr angestammtes Zuhause und soziale Umfeld verlassen müssen, als dass sie sich erkundigen, wo der assistierte Suizid zugelassen wird oder nicht.

«Wenn schon in ein Heim, dann so nahe wie möglich zum bisherigen Wohnort»

Sie wünschen sich vor allem eines, wenn schon in ein Heim, dann so nahe wie möglich zum bisherigen Wohnort. Tritt bei einer Bewohnerin oder einem Bewohner nach einer gewissen Zeit der Wunsch auf einen assistierten Suizid ein, aber die Einrichtung verweigert dies, bleibt der Person nur eines, sie muss entweder das Heim wechseln oder ein anderes vorübergehendes Zuhause suchen. Dies ist weder für die betroffene Person noch ihr Umfeld verantwortbar, denn daraus ergibt dies eine unnötige zusätzliche psychische Belastung.

Ein weiterer, ganz grundsätzlicher Aspekt darf nicht vergessen werden. Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich und es gibt demografiebedingt immer mehr ältere Menschen. Wir dürfen diese gesellschaftliche Entwicklung nicht einfach ausser Acht lassen. Hinzu kommt, dass die Selbstbestimmung in unseren Gesellschaftsschichten ein klar zunehmender Trend darstellt.

Pflegebett Pflegeheim
Höhenverstellbares Pflegebett im Zimmer eines Pflegeheims. (Symbolbild) - keystone

«Institutionen haben nur entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen»

Nau.ch: Die Pflegeeinrichtungen und somit auch das Pflegepersonal wären gezwungen, Sterbehilfe anzubieten, was möglicherweise gegen ihre ethischen Prinzipien verstösst. Denken Sie, dies könnte zu einer grossen psychischen Belastung beim Personal führen?

Pfiffner & Lüscher: Der assistierte Suizid beziehungsweise die Freitodbegleitung ist nicht Aufgabe der Pflegeeinrichtungen und schon gar nicht des Pflegefachpersonals. Die Institutionen haben nur entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Für den Vollzug des assistierten Suizids sind in erster Linie die Angehörigen und vor allem spezialisierte Organisationen, wie zum Beispiel Exit, verantwortlich.

Diese müssen zudem eine Reihe von Vorschriften einhalten. Den Institutions- und Pflegeleitungen obliegt es ihrerseits, ihrem Pflegepersonal die notwendige moralische und emotionale Unterstützung zu bieten. Dafür gibt Curaviva Schweiz entsprechende Empfehlungen.

Befürworten Sie das Anliegen der Initiative «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Pflegeeinrichtungen»?

Nau.ch: Haben Sie alternative Vorschläge, um den Menschen in Pflegeeinrichtungen mehr Selbstbestimmung über Ihr Lebensende zu geben?

Pfiffner & Lüscher: Es gibt keine Alternative zur Selbstbestimmung und es geht nicht um mehr, sondern es geht einfach darum, die Selbstbestimmung generell und für das eigene Lebensende überhaupt zuzulassen und den Menschen mit seinem Wunsch zu respektieren.

Zu den Personen: Martina Pfiffner Müller (49) ist Vizepräsidentin und Fraktionssprecherin der FDP Thurgau im Kantonsrat. Bruno Lüscher ist Kantonsrat für die FDP Thurgau.

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Dann kontaktieren Sie bitte umgehend die Dargebotene Hand (www.143.ch). Unter der kostenlosen Hotline 143 erhalten Sie anonym und rund um die Uhr Hilfe.

Die Berater können Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen. Auch eine Kontaktaufnahme über einen Einzelchat oder anonyme Beratung via E-Mail ist möglich. Hilfe für Suizidbetroffene: www.trauernetz.ch.

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