Classes bilingues: Mitte-Wertli sieht Anderegg in der Pflicht
Der Stadtrat will den zweisprachigen Schulversuch mithilfe der französischsprachigen Schule ECLF retten. Kann das gelingen?

Das Wichtigste in Kürze
- Der Berner Schulversuch «Classes bilingues» steht vor dem Aus.
- Die Empörung bei Eltern und im Stadtparlament war gross.
- Nun soll ein Ausweg gesucht werden: Mitte-Stadträtin Béatrice Wertli ist zuversichtlich.
Für die über 90 Berner Schüler der «Classes bilingues» (ClaBi) scheint sich nun doch noch eine Lösung abzuzeichnen.
Im Mai hatte Bildungsdirektorin Ursina Anderegg entschieden, dass der Schulversuch nicht weitergeführt werde. Nach den Sommerferien 2026 soll Schluss sein: Es mangle an Schulraum, Geld, Fachkräften und kompatiblen Lehrplänen.
Betroffene Eltern protestierten und im Stadtrat musste sich Anderegg zahlreichen Fragen stellen. In seiner letzten Sitzung befand das Stadtparlament nun über zwei Forderungen: Der Weiterführung von ClaBi im Regelbetrieb und der Zusammenarbeit mit der vom Kanton betriebenen französischsprachigen Schule ECLF.
Der Gemeinderat war gegen beides, der Stadtrat nur gegen Ersteres. Doch die Zusammenarbeit mit der École cantonale de langue française (ECLF) solle geprüft werden. Gemeinderätin Anderegg verwies vergeblich darauf, dass es sich um eine einsprachige, nicht eine bilingue Schule handle.
Der BärnerBär hat mit einer der Erstunterzeichnerinnen des Vorstosses, Mitte-Fraktionspräsidentin Béatrice Wertli, über die weiteren Aussichten für ClaBi geredet.

BärnerBär: Die Motion aus der FDP-Fraktion, die eine Überführung der ClaBi in den Regelbetrieb forderte, wurde abgelehnt. Ihre Motion für eine Zusammenarbeit mit dem Kanton und Nutzung der ECLF aber kam durch. Was gab den Ausschlag gegen das eine und für das andere?
Béatrice Wertli: Es gab zwei Knackpunkte: Zum einen wollten – verständlich – viele im Stadtrat ihre eigene Gemeinderätin angesichts des schwierigen Falls nicht brüskieren. Zum anderen bot die Richtlinienmotion eine elegante Möglichkeit, Unzufriedenheit auszudrücken.
Und trotzdem Handlungsoptionen zu öffnen, ohne ein parteipolitisches Eigentor im eigenen Lager zu riskieren. So konnten sich verschiedene Seiten auf einen neuen Weg einigen, statt alte Gräben zu vertiefen.

BärnerBär: Die Classes bilingues sind ein Schulversuch der Stadt und stehen jetzt kurz vor dem Aus. Die ECLF sind ein Projekt des Kantons, aber es gibt Kritik, eine rein französischsprachige Schule in Bern sei nicht zeitgemäss. Eine Zusammenarbeit der beiden wäre also fast schon eine Win-win-Situation?
Wertli: Genau das ist unsere Idee: Mit konstruktivem Geist statt Grabenkämpfen etwas für die Betroffenen erreichen! Die Zeit der Schuldzuweisungen ist vorbei.
Jetzt braucht es Mut, neue Wege zu gehen und den Fokus auf praktische Lösungen zu richten. Die Kinder und Eltern erwarten zu Recht, dass ernsthaft nach Alternativen gesucht wird und nicht alte Ideologien aufgewärmt werden.

BärnerBär: Sowohl Stadt wie Kanton sagen, es gebe keinen rechtlichen Rahmen, um aus der ECLF eine zweisprachige Schule zu machen. Der Kanton Bern scheint auch nicht wirklich Lust zu haben, eine Volksschule zu betreiben – selbst mit rechtlichen Grundlagen nicht. Wie gross ist diese Hürde?
Wertli: Solange man nur Gründe sucht, warum es nicht geht, bewegt sich nichts. Aber Stadt und Kanton Bern wollen schliesslich bilingual und zukunftsfähig bleiben – das verpflichtet zu mehr als schönen Reden!
Gesetze kann man ändern, Strukturen anpassen. Es braucht einfach den politischen Schnauf, die Zähe und die Kompromissbereitschaft. Das schulden wir unserem Anspruch als Hauptstadt und als Bildungsstandort.
BärnerBär: Was wäre ein mögliches Wunschszenario, wie es mit den «Classes bilingues» und der ECLF nun weitergehen könnte?
Wertli: Ideal wäre eine offene, kreative Zusammenarbeit: alle an einem Tisch – Eltern, Lehrpersonen, Behörden, Politik. Nicht mehr übereinander reden, sondern gemeinsam Lösungen entwickeln und umsetzen.
Bern könnte zur Modellregion für innovative bilinguale Bildung werden, wenn alle den Willen dazu mitbringen. Es bringt nichts, wenn jede Seite das Spielfeld verteidigt, aber niemand das Fussballspiel gewinnt. Es braucht jetzt Teamgeist.

BärnerBär: Es ist eine «Richtlinienmotion», die dem Gemeinderat ziemlich viele Freiheiten offenlässt und ihm jetzt gegen seinen Willen aufgedrückt wird. Wie hoffnungsvoll stimmt Sie die Zusage von Bildungsdirektorin Ursina Anderegg, dass sie nun nochmals beim Kanton anklopfen will?
Wertli: Das Abstimmungsergebnis im Stadtrat war an Klarheit kaum zu überbieten: 63 zu 1. Das ist ein klarer Auftrag. Ich erwarte, dass dieser Auftrag ernst genommen wird.