Christian Huber, Präsident der Grünen St. Gallen, erklärt im Interview, weshalb für ihn Tempo 30 zur Lärmreduktion auf der Ost-West-Achse alternativlos ist.
Tempo 30
In St. Gallen sind sich Stadtrat und Kantonsrat bezüglich Tempo 30 auf der Hauptachse uneins. (Bild zeigt eine Strasse in Bern). - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Stadt und Kanton streiten über die Geschwindigkeit auf der Ost-West-Achse St. Gallen.
  • Für Christian Huber, Präsident der Grünen, ist der Fall klar, wie er im Interview sagt:
  • «Tempo 30 bleibt das wirksamste, einfachste und mit Abstand kostengünstigste Mittel.»
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Der Stadtrat von St. Gallen plante schrittweise die flächendeckende Einführung von Tempo 30, um den Lärm im Stadtgebiet zu reduzieren. Allerdings hat der Kantonsrat dieses Vorhaben ausgebremst. Er entschied, dass auf den Kantonsstrassen, die die Ost-West-Achse der Stadt bilden, weiterhin Tempo 50 gelten soll. Diese Entscheidung basiert auf den vielen negativen Rückmeldungen während der Vernehmlassung.

Grünen-Präsident Christian Huber wehrt sich mit seiner Partei weiter gegen den Entscheid. Stadt und Kanton seien aufgrund der Lärmschutzverordnung zum Handeln verpflichtet und er sehe keine andere umsetzbare Massnahme, erklärt er im Interview.

Nau.ch: Braucht es an der Ost-West-Achse Lärmschutzmassnahmen?

Christian Huber: Strassenverkehr verursacht Lärm, dieser schadet der Gesundheit und verursacht daher Kosten für die Allgemeinheit. Das ist Fakt. Die Zahlen sind zudem eindeutig: In der Stadt St. Gallen sind über 10'000 Personen Strassenlärm ausgesetzt, der über den nationalen Lärmschutzgrenzwerten liegt – vor allem entlang der Ost-West-Achse.

Huber Grüne St. Gallen
Christian Huber, Präsident GRÜNE Stadt und Region St. Gallen. - zVg

Stadt und Kanton sind deshalb gemäss Lärmschutzverordnung rechtlich dazu verpflichtet, Lärmschutzmassnahmen umzusetzen. Temporeduktionen sind dabei ein wirksames, einfaches und sehr kostengünstiges Mittel gegen Strassenlärm: Es sind keine baulichen Massnahmen erforderlich, lediglich die Signalisation muss angepasst werden.

Nau.ch: Fänden Sie die Einführung von Tempo 30 auf dieser Verkehrsachse sinnvoll?

Huber: Ja, und zwar aus mehreren Gründen:

Erstens werden bei Tempo 30 die Lärmemissionen um rund 3 Dezibel im Vergleich zu Tempo 50 reduziert. Das entspricht einer gefühlten Halbierung des Verkehrs! Und dies ohne die Leistungsfähigkeit einer Strasse einzuschränken: Autofahrende fahren konstanter und müssen weniger oft und lang bremsen und beschleunigen. Dadurch entsteht ein flüssigerer Verkehr. Die Fahrtzeit verlängert sich ebenfalls nur minim, da Lichtsignale oder stockender Verkehr zu Hauptverkehrszeiten bereits heute kaum Tempo 50 zulassen.

«Lebensqualität auf Hauptstrassen mit Tempo 30 erhöht»

Zweitens steigt bei Tempo 30 die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmenden, insbesondere für Zufussgehende und Velofahrerinnen und Velofahrer.

Drittens sind viele Bauprojekte entlang von Hauptstrassen aktuell aufgrund der Lärmschutzverordnung blockiert: Tempo 30 würde diese Blockade aufheben und zudem den Wert der Liegenschaften enorm steigern.

St. Gallen Hauptstrasse
Die Hauptstrasse in St. Gallen. - Google Maps

Und schliesslich zeigt sich viertens aus anderen Städten, dass sich die Lebensqualität auf Hauptstrassen mit Tempo 30 erhöht. Das nützt auch dem Gewerbe: Gerade für Restaurants oder Kaffees steigt die Aufenthaltsqualität im Freien durch weniger Lärm. Mit Tempo 30 kann zudem die Strassenfläche reduziert und Platz geschaffen werden für schattenspendende Bäume, mehr Biodiversität und zusätzliche Verweilmöglichkeiten. Gerade im Bereich der Langgasse im Heiligkreuz oder der umgestalteten Zürcher Strasse wird Tempo 30 die Entwicklung eines Quartiers positiv beeinflussen.

«Kein einziger Fall von Ausweichverkehr in die Quartierstrassen dokumentiert»

Nau.ch: Welche Auswirkungen hätte dies auf den Verkehr der Stadt, auch neben der betroffenen Ost-West-Achse?

Huber: Studien des Bundesamtes für Verkehr zeigen, dass landesweit kein einziger Fall dokumentiert ist, bei welchem aufgrund des Wechsels von Tempo 50 auf Tempo 30 Ausweichverkehr in die Quartierstrassen aufgetreten wäre. Zudem liegen aktuell zahlreiche Bevölkerungsvorstösse von städtischen Anwohnerinnen und Anwohner bei der Stadtverwaltung, mit denen sie eine Begegnungszone auf ihrer Quartierstrasse fordern, also Tempo 20.

Nau.ch: Welche alternativen Massnahmen entlang dieser Strassen würden Sie unterstützen?

Huber: Damit Strassenlärm entsteht, braucht es eine Quelle: Die nötige Verkehrsverlagerung weg vom motorisierten Individualverkehr hin zur lärm- und klimaschonenden Mobilität wie Fuss-, Velo- und öffentlichen Verkehr reduziert ebenfalls die Lärm- und Umweltbelastung.

Tempo 30 E-Auto Lärm
Auch die zunehmende Elektrifizierung des Verkehrs führt bei Geschwindigkeiten über 30 km/h kaum zu einer Lärmreduktion. (Symbolbild) - keystone

Andere Massnahmen sehe ich kritisch: Flüsterbeläge sind sehr teuer, für die Höhenlage in der Stadt St. Gallen aufgrund des Winterdienstes ungeeignet und verlieren nach wenigen Monaten bis Jahren den Grossteil des gewünschten Effekts. Abschottende Lärmschutzwände sind kaum möglich entlang den engen innerstädtischen Hauptverkehrsachsen. Und die zunehmende Elektromobilität verursacht ebenso Lärm, da ab Tempo 30 der Rollwiderstand und nicht der Motor die Hauptlärmquelle ist.

«Stadtrat soll allenfalls rechtliche Schritte gegen ein mögliches Verbot von Tempo 30 auf Gemeindestrassen prüfen»

Es gibt also schlicht kaum Alternativen: Tempo 30 bleibt das wirksamste, einfachste und mit Abstand kostengünstigste Mittel, um die verbindlichen Lärmschutzgrenzwerte einzuhalten und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.

Nau.ch: Der Stadtrat will Tempo 30, der Kantonsrat lehnt dies ab. Wie lässt sich dieser Streit nun beilegen?

Huber: Wir möchten den Stadtrat unterstützen, sich trotz des mutlosen und ideologischen Entscheids des Kantonsrates weiterhin bei der Kantonsregierung für Tempo 30 starkzumachen und allenfalls rechtliche Schritte gegen ein mögliches Verbot von Tempo 30 auf Gemeindestrassen zu prüfen, wie dies auch in anderen Schweizer Gemeinden geschehen ist.

Würden Sie die Einführung von Tempo 30 auf der Ost-West-Achse in St. Gallen begrüssen?

Es kann und darf nicht sein, dass ein Kantonsparlament die Gemeinden pauschal in der korrekten Ausübung der Lärmschutzverordnung, der Erhöhung der Strassensicherheit und zum Schutz der Gesundheit der Bewohner:innen derart einschränkt. Der Entscheid des Kantonsrates widerspricht dem föderalistischen Grundsatz der Gemeindeautonomie in der Schweiz und führt zu einer Bevormundung der Gemeinden, zu Planungsunsicherheiten und zu erheblichen Zusatzkosten.

Zur Person: Christian Huber (34) ist Präsident der Grünen Stadt und Region St. Gallen und seit 2018 Mitglied des Stadtparlamentes sowie Mitglied der Liegenschafts- und Baukommission und beruflich als Mittelschullehrer tätig.

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