Der angekündigte «endgültige» Rückzug des einflussreichen irakischen Schiitenführers Moktada Sadr aus der Politik hat gewaltsame Proteste mit mindestens 15 Toten ausgelöst.
Sadr-Anhänger in Bagdad
Sadr-Anhänger in Bagdad - AFP
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Das Wichtigste in Kürze

  • Schiiten-Führer verkündet «endgültigen» Rückzug aus der Politik.

Aufgebrachte Sadr-Anhänger stürmten am Montag ein Regierungsgebäude in der irakischen Hauptstadt Bagdad, im stark gesicherten Regierungs- und Botschaftsviertel fielen Schüsse, wie ein AFP-Reporter berichtete. Am Abend wurden mindestens sieben Granaten auf das Viertel abgefeuert.

Nach Angaben von Ärzten wurden bei Zusammenstössen mindestens 15 Sadr-Anhänger getötet und 350 weitere verletzt. Augenzeugen zufolge lieferten sich Sadr-Unterstützer und Anhänger einer rivalisierenden schiitischen Gruppe Feuergefechte. Die Armee setzte Tränengas ein. Die Armee verhängte eine landesweite Ausgangssperre.

Am Abend schlugen mindestens sieben Granaten in der sogenannten Grüne Zone ein, wie aus Sicherheitskreisen verlautete. Im Anschluss waren Schüsse von Schnellfeuerwaffen im Regierungsviertel zu hören. Nach Angaben eines Sicherheitsvertreters feuerte ein Sadr unterstehende Miliz von aussen in die Grüne Zone.

Die UN-Mission im Irak (Unami) sprach von einer «extrem gefährlichen Eskalation» und forderte die Demonstranten auf, das Regierungsviertel sofort zu verlassen. «Das Überleben des Staates steht auf dem Spiel», erklärte die UN-Mission.

UN-Generalsekretär António Guterres rief zur «Zurückhaltung» auf und forderte «alle relevanten Akteure» auf, «sofortige Schritte für eine Deeskalation der Situation» zu unternehmen. Die US-Regierung sprach von «beunruhigenden» Berichten aus Bagdad und mahnte alle Seiten zur Ruhe und zum Dialog.

Die Proteste weiteten sich am Abend auf weitere Landesteile aus. Laut Berichten von AFP-Reportern und Augenzeugen stürmten Sadr-Anhänger Regierungsgebäude in den südlichen Städten Nassirija und Hilla, in Hilla gab es Strassenblockaden.

Der Irak steckt seit Monaten in einer politischen Krise. Seit der Parlamentswahl im Oktober konnte noch keine neue Regierung gebildet werden - unter anderem, weil sich Sadrs Block mit der rivalisierenden Schiiten-Gruppe darüber streitet, wer den nächsten Ministerpräsidenten stellt.

Am Montag kündigte Sadr dann seinen politischen Rückzug an. «Ich habe beschlossen, mich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen, deshalb kündige ich jetzt meinen endgültigen Rückzug an», erklärte Sadr im Onlinedienst Twitter. Mit wenigen Ausnahmen werde er alle mit seinem und dem Namen seiner Familie verbundenen Institutionen schliessen.

Wütende Sadr-Sympathisanten stürmten in der Folge den Palast der Republik in der Grünen Zone, in dem üblicherweise das Kabinett tagt. Sie schwenkten irakische Flaggen, machten Selfies, liessen sich in den Armsesseln eines Sitzungsraums nieder oder kühlten sich bei einem Bad im Pool im Garten des Gebäudes ab.

Iraks Ministerpräsident Mustafa al-Kadhemi setzte die Kabinettssitzungen «bis auf Weiteres» aus und berief eine dringende Sicherheitssitzung im Hauptquartier des Militärkommandos ein. Sicherheits- und Streitkräften und bewaffneten Männern sei es untersagt, auf Demonstranten zu schiessen, sagte er.

Seit fast einem Monat halten Sadrs Anhänger die Umgebung des irakischen Parlaments in Bagdad besetzt. In der vergangenen Woche blockierten sie kurzzeitig den Zugang zum höchsten Gericht des Landes. Auf Plakaten forderten sie die Auflösung des Parlaments, Neuwahlen sowie den Kampf gegen Korruption.

Seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003 wird der Irak nach einem konfessionellen Proporzsystem regiert, nach dem das Amt des Ministerpräsidenten den Schiiten vorbehalten ist. Die Sadr-Bewegung war bei der Parlamentswahl im Oktober zwar stärkste Kraft geworden, konnte aber keine Mehrheit bilden. Im Juni dann waren Sadrs Abgeordnete geschlossen zurückgetreten.

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