Im Streit um die Zollvorschriften für die britische Provinz Nordirland hat die EU-Kommission vier neue Vertragsverletzungsverfahren gegen Grossbritannien eingeleitet.
Protestplakat gegen das  Nordirland-Protokoll
Protestplakat gegen das Nordirland-Protokoll - AFP/Archiv
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Das Wichtigste in Kürze

  • EU-Kommission: Britische Regierung nicht zu ernsthaften Gesprächen bereit.

Trotz zahlreicher Appelle der 27 EU-Staaten an London, das Nordirland-Protokoll umzusetzen, habe die britische Regierung dies verweigert, hiess es in einer Erklärung der Kommission vom Freitag. Stattdessen hatte London einseitige Änderungen an dem Protokoll beschlossen, die Ende Juni eine erste Hürde im britischen Parlament nahmen.

Es sei mehr als ein Jahr lang versucht worden, im Sinne einer konstruktiven Zusammenarbeit gemeinsame Lösungen zu finden, hiess es in der Brüsseler Erklärung. Grossbritannien sei jedoch nicht bereit, ernsthafte Gespräche zu diesem Thema zu führen. Stattdessen werde im britischen Parlament weiter über einseitige Änderungen am Protokoll debattiert. Die von der EU angestrengten Verfahren könnten für London vor dem Europäischen Gerichtshof enden.

Das Nordirland-Protokoll ist Teil des Abkommens zwischen Brüssel und London zum EU-Austritt und soll die Zollkontrollen im Warenaustausch zwischen Nordirland und Grossbritannien regeln. London hatte der Regelung ursprünglich zugestimmt, um Kontrollen an der inner-irischen Grenze zu verhindern, da dies den Friedensprozess in der ehemaligen Unruheregion gefährden könnte.

Nun aber will die britische Regierung die meisten Kontrollen zwischen Nordirland und Grossbritannien abschaffen und britische Händler für Waren nach Nordirland von der Pflicht zur EU-Zollanmeldung befreien.

London argumentiert, das Nordirland-Protokoll untergrabe den Frieden in der Region, indem es die dortige Regierung blockiere. Die pro-britische Partei DUP widersetzt sich seit Wochen der Regierungsbildung in Nordirland und fordert die Abschaffung des Protokolls.

Die EU lehnt eine grundsätzliche Überarbeitung des Abkommens ab und wertet einseitige Änderungen als Verstoss gegen internationales Recht. Sie hat aber praktische Vereinfachungen bei den Kontrollen zugestanden.

Die EU warf London am Freitag vor, «wenig Zeit darauf verwendet zu haben, den Menschen und Unternehmen in Nordirland das Protokoll zu erklären, und sie nicht angemessen auf die durch den Brexit verursachten Veränderungen vorbereitet zu haben».

Insgesamt laufen nun sieben Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit dem Nordirland-Protokoll gegen London. Die vier neuen Verfahren betreffen die Nichteinhaltung von Zollverpflichtungen und die Kontrolle von Waren, die von Nordirland nach Grossbritannien gelangen (was laut Brüssel das Risiko des Schmuggels über die nordirische Grenze erhöht), die Nichteinhaltung der EU-Gesetzgebung insbesondere bei der Alkoholsteuer und der Mehrwertsteuer für den E-Commerce.

Die drei vorangegangenen Verfahren betreffen die Nichteinhaltung der Zertifizierungsanforderungen für den Verkehr mit Agrar- und Ernährungsprodukten, die Nichteinhaltung der Verpflichtungen im Bereich der Gesundheits- und Pflanzenschutzkontrollen und die Nichtübermittlung bestimmter statistischer Daten über den Handel mit Nordirland an die EU.

Das Vereinigte Königreich hat zwei Monate Zeit, um auf die Schreiben der Kommission zu antworten und Massnahmen zu ergreifen, um das Protokoll einzuhalten. Sollte dies nicht geschehen, könnte Brüssel nach den Bedingungen des Post-Brexit-Abkommens die Anwendung einiger Bestimmungen aussetzen, was zu einem heftigen Handelsstreit mit London führen könnte.

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