Wieso lehnt eine Grünliberale die Konzern-Initiative ab?
Das Wichtigste in Kürze
- Die grünliberale Nationalrätin Isabelle Chevalley ist gegen die Konzern-Initiative.
- Für sie würde die Initiative besonders in Afrika den Menschen schaden.
- Eine Ethnologin mit Spezialgebiet Afrika hält Chevalleys Argumente für «irreführend».
Eine ungewöhnliche Figur sitzt zwischen Parteipräsidentinnen und -präsidenten an der ersten Pressekonferenz gegen die Konzernverantwortungsinitiative. Es ist die grünliberale Nationalrätin Isabelle Chevalley aus der Waadt. Ungewöhnlich nicht wegen ihres nicht-präsidialen Rangs, sondern vor allem, weil die Grünliberalen die Initiative mehrheitlich unterstützen.
Isabelle Chevalley erscheint im afrikanischen Gewand. Sie zeigt Videos eines Granit-Steinbruchs in Burkina Faso, mit den Arbeiterinnen und Arbeitern. Und ein weiteres, von einem Schuldirektor, der die prekäre Lage seiner Schule schildert. Das Ganze soll vor allem etwas zeigen: Ich kenne die Leute und die Situation vor Ort.
Eine Herzensfamilie in Afrika
Auf Anfrage von Nau.ch erklärt Chevalley ihre Motivation gegen die Konzern-Initiative folgendermassen: «Ich reise seit über zwanzig Jahren durch Afrika, dort ist ein Teil meiner Herzensfamilie.» Sie ist sich sicher, dass die Initiative dort am meisten schade, wo geholfen werden soll. Für Chevalley liegt das eigentliche Problem im Bildungsmangel.
Wenn es nicht genug Schulen für Kinder gebe, so müssten diese mit den Eltern arbeiten gehen. Deswegen bauen einige Unternehmen Schulen, so zum Beispiel Nestlé, wie der Ernährungsriesen auf seiner Webseite schreibt. Für Chevalley begrüssenswert: So könne die Schulbildung von Kindern verbessert werden.
Die Nationalrätin hält aber fest: «Niemand sagt, dass unsere Unternehmen die Menschenrechte nicht respektieren müssen oder keinen fairen Handel betreiben sollen!» Doch armen Ländern könne nur geholfen werden, indem ihnen eine «wahre Wirtschaftsentwicklung» ermöglicht werde. Die Konzern-Initiative verhindert das in Chevalleys Augen, weil Unternehmungen unter Druck risikobehaftete Länder verlassen würden.
Was die Naturwissenschaftlerin aber vor allem stört, seien die «neokolonialistischen» Züge der Initiative. Es werde den Unternehmen ein Verhalten ohne Rücksicht auf den lokalen Kontext diktiert. Das sei neokolonialistisch, weil so die lokalen Instanzen für unfähig gehalten werde, die Unternehmungen selber zu verurteilen.
«Irreführende» Argumente
Doch für die Basler Ethnologin Rita Kesselring könnten die Argumente der Grünliberalen «irreführend» sein. Kesselring forscht zu Minenstädten in Sambia und der Rolle der Schweiz im Rohstoff- und Logistiksektor im südlichen Afrika.
«Frau Chevalley vermischt Entwicklungshilfe und faire Wirtschaftspraktiken», erklärt Kesselring. Die Initiative verlange die Einhaltung von Menschenrechten und mache Konzerne nicht für Entwicklungsherausforderungen wie Bildungsmangel verantwortlich.
Auch der Sozialanthropologe Tobias Haller kennt sich mit Erdöl- und Minenkonzernen in Afrika sehr gut aus. Den Vorwurf, die Initiative sei neokolonialistisch, hält Haller für «sehr irritierend». Es gehe bloss darum, dass sich Grosskonzerne an die Mindeststandards für Arbeits- und Umweltbedingungen hielten, so der Forscher der Universität Bern.
Haller habe die Pressekonferenz nicht mitverfolgt. Doch die Kleiderwahl von Chevalley betrachtet er kritisch: «Das Auftreten als Weisse in afrikanischen Gewändern finde ich doch sehr problematisch, wenn es um diesen Kontext der Herstellung des Authentischen geht.»
Zudem finde keine Differenzierung statt: Man müsse sich fragen, welche lokalen Akteure vertreten werden, und welche Machtpositionen diese Akteure einnehmen.
Nuance in einer polarisierenden Debatte
Kesselring und Haller unterstützen die Initiative. Aus ihren Erfahrungen in afrikanischen Ländern, in denen Grosskonzerne tätig sind, ziehen sie offensichtlich andere Schlüsse als Isabelle Chevalley. Rita Kesselring begrüsst jedoch den Einsatz von Chevalley. Dass diese ihre Nuancen in «eine polarisierende Debatte» bringen wolle, sei wichtig.
Es brauche zudem «Sprachrohre», die über ihre Erfahrungen in afrikanischen Ländern berichteten. Doch die Solidarität, die die Waadtländerin mit ihren Freunden und Bekannten aus Burkina Faso zeige, unterlaufe sie gleichzeitig, findet Kesselring. «Was nützt eine Schule, wenn das Unternehmen, das sie sponsert, das Grundwasser verschmutzt?»