SEM-Gattiker: Verrohung im Kontakt mit Behörden
Das Wichtigste in Kürze
- Nach den Attacken auf SEM-Mitarbeitende prangert Gattiker die Verrohung an.
- Auch von Asylsuchenden gebe es immer wieder Angriffe auf die Angestellten.
- Sie werden aber auch selber Opfer von Misshandlungen durch das Sicherheitspersonal.
Telefon-Terror, durchgeschnittene Bremsleitungen und eine verstümmelte Katze: Die Angriffe auf Personen, die in Bundesasylzentren arbeiten, haben zuletzt zugenommen. «Wir nehmen die Situation sehr ernst», sagt der Chef des Staatssekretariats für Migration, Mario Gattiker, gegenüber der «Rundschau» des SRF.
Bei konkreten Bedrohungssituationen käme die Polizei zur Unterstützung. «Je nach Situation ist selbstverständlich auch Personenschutz ein Thema», so Gattiker. Für die Verschärfung des Problems sieht er zwei Gründe: «Einerseits wird in gewissen politischen Kreisen Stimmung gegen die Asylpolitik gemacht.» Sie werde, wie auch die Unterbringungssituation in den Asylzentren, als unmenschlich gebrandmarkt.
«Andererseits stellen wir eine allgemeine Verrohung im Kontakt mit Behörden fest», sagt Gattiker. Es komme auch immer wieder zu Gewalt von Asylsuchenden gegenüber Betreuern. «Auch das ist leider ein Faktum.»
Doch die Gewalt geht nicht nur von den Asylsuchenden aus. Wie die Recherche der «Rundschau» zeigt, sind sie auch häufig die Opfer von Gewalt ausgehend vom Sicherheitspersonal.
Verletzungen in keinem Rapport erwähnt
So beispielsweise im Asylzentrum in Boudry NE. Während eines Streits verlangt eine Asylsuchende die Personalnummer eines Sicherheitsangestellten. Dieser verweigert aber die Herausgabe und fordert die Osteuropäerin auf, ein Foto von ihm zu machen.
Obwohl dies verboten ist, folgt sie der Aufforderung, wird überwältigt und in eine «Besinnungszelle» gesperrt. Ihr Handy, auf dem eine Tonaufnahme im Gange ist, wird beschlagnahmt und ins Büro des Sicherheitspersonal gebracht.
In Altstätten SG wird ein 16-Jähriger mehrfach geschlagen und verletzt, weil er nach dem Rauchen vergessen hat, die Maske aufzusetzen. Auf Anraten eines Sozialpädagogen geht der Jugendliche schliesslich ins Spital, wo mehrere Verletzungen festgestellt werden. Im Rapport, den das Sicherheitspersonal nach Eskalationen schreiben muss, steht davon nichts.
Realität wird in den Rapporten übertrieben
Doch die Berichte seien einseitig, nur das Sicherheitspersonal könne sich äussern, kritisiert Marcel Bosonnet, der Anwalt des Jugendlichen. Dadurch könne es sein eigenes Fehlverhalten verschleiern und entschuldigen.
Und dies geschieht tatsächlich, wie die Tonaufnahmen der osteuropäischen Asylsuchenden aus dem Büro des Sicherheitspersonals zeigen. «Manchmal übertreibe ich die Realität in den Berichten, damit es die Dinge rechtfertigt», so eine Angestellte des Sicherheitsdienstes.
Anwalt Bosonnet fordert, dass Mario Gattiker klar zu erkennen gibt, dass Gewaltsituationen nicht toleriert werden. Dies tat der SEM-Chef auch: Die Vorfälle werden untersucht, 14 involvierte Personen wurden suspendiert, es laufen Strafverfahren. «Wir dulden keinen unverhältnismässigen Zwang, wir erwarten korrektes Verhalten», so Gattiker.