Menschen mit geistiger Behinderung sollen abstimmen dürfen
Das Parlament will allen volljährigen Schweizerinnen und Schweizern, auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, das Stimm- und Wahlrecht sichern.

Alle volljährigen Schweizerinnen und Schweizer – auch Menschen mit geistiger Beeinträchtigung – sollen abstimmen und wählen können. Das Parlament will dazu die Bundesverfassung ändern. Nach dem Nationalrat hat am Montag auch der Ständerat einer entsprechenden Motion zugestimmt.
Die kleine Kammer hiess den Vorstoss der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) mit 29 zu 13 Stimmen bei zwei Enthaltungen gut.
Der Nationalrat hatte bereits im Mai Ja gesagt zu der Kommissionsmotion. Der Bundesrat beantragte deren Annahme, er muss nun einen Umsetzungsvorschlag machen. Das letzte Wort zu einer Verfassungsänderung haben Volk und Stände an der Urne.
Ausschluss vom Stimmrecht als Problem
Heute stehen gemäss der Verfassung Menschen, die «wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind», die politischen Rechte nicht zu. Das schliesse rund 16'000 Menschen vom Stimmrecht aus, schrieb die Nationalratskommission zu ihrem Vorstoss.
Die Mehrheit der vorberatenden Ständeratskommission bezeichnete den heute existierenden systematischen Ausschluss vom Stimmrecht als problematisch im Hinblick auf das Gebot der Rechtsgleichheit.
In der Praxis sei die Gruppe der betroffenen Personen sehr heterogen, hielt die Kommissionsmehrheit fest. Einige von ihnen seien in der Lage, ihren politischen Willen selbstständig zu bilden und auszudrücken.
Urteilsfähigkeit als Kriterium
Im Gegensatz dazu gebe es auch Personen, die dauerhaft urteilsunfähig seien, aber nicht unter umfassender Beistandschaft stehen, beispielsweise weil ihre Familie die nötigen Entscheidungen treffe.
Die Befürworterinnen und Befürworter der Motion hielten weiter fest, dass auch urteilsfähige Personen bisweilen Schwierigkeiten haben, alle Feinheiten komplexer Abstimmungsvorlagen zu verstehen.
Maya Graf (Grüne/BL) sagte, die heutige Regelung wende ungeeignete Kriterien an. Wenn es jemandem an Finanzkompetenzen mangle, sage dies nichts über die Fähigkeit zur politischen Willensbildung aus. Graf kritisierte zudem, beim Rest der Stimmbevölkerung würden die kognitiven Fähigkeiten auch nicht vorab überprüft – unabhängig von Alter und Lebenssituation der betreffenden Person.
Kritik am aktuellen Ausschluss
Der heutige Ausschluss, wie er in der Bundesverfassung stehe, sei zu absolut, sagte auch Justizminister Beat Jans. Zudem wendeten die Behörden umfassende Beistandschaft sehr unterschiedlich oft an. «Ob jemand das Stimmrecht verliert, hängt viel zu stark vom Wohnort ab.»
Eine Dreier-Minderheit der vorberatenden Kommission aus den Reihen von FDP und SVP beantragte ohne Erfolg die Ablehnung des Vorstosses. Das eigentliche Problem sei, dass die umfassende Beistandschaft in einigen Kantonen viel zu häufig angewendet werde, argumentierte sie.
«Materiell haben wir wahrscheinlich keine Differenz», sagte Pirmin Schwander (SVP/SZ). Bei der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung habe die Schweiz Mängel.
Schwander argumentierte aber im Namen der Minderheit, wolle man weiterhin Ausnahmen bei den politischen Rechten vorsehen, brauche es dafür eine Verfassungsgrundlage. Eine Regelung im Gesetz reiche nicht aus. Die Motion sehe aber eine solche Rechtsgrundlage nicht vor.