Mehr Tests und vom Bund bezahlt: Das ist gut, sagt der Co-Präsident der Notfall-Mediziner. Aber es bringt die Spitäler an den Anschlag.
Aris Exadaktylos Inselspital Coronavirus
Prof. Dr. Aris Exadaktylos ist Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin (SGNOR) und als Chefarzt am Universitären Notfallzentrum Inselspital tätig. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Bundesrat will möglichst viele Corona-Tests und übernimmt deshalb die Kosten.
  • Bei den Spital-Notfallstationen ist man darüber nicht nur glücklich.
  • Unklarheiten und ein massiver Aufwand würden zur Belastung.
  • Nach den Sommerferien rechnet der oberste Notfall-Arzt mit einer weiteren Testwelle.

Lange Warteschlangen vor dem Covid-Container ausserhalb des Universitären Notfallzentrums Inselspital (UNZ). Die schweizweiten Zahlen bestätigen den Eindruck: Es wird so viel getestet wie noch nie während der Corona-Pandemie. Das ist im Sinne des Bundesrats – nur so rechtfertigen sich auch die Lockerungsmassnahmen. Deshalb sind begründete Tests neu auch gratis.

Wie gehen insbesondere die Spitäler mit dieser Situation um? Nau.ch hat mit Prof. Dr. Aris Exadaktylos gesprochen. Er ist Co-Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin (SGNOR) und Chefarzt am UNZ.

Nau.ch: Sie mussten den starken Anstieg bei den Test-Zahlen bewältigen. Gleichzeitig hat der Bundesrat entschieden, dass die Kosten vom Bund übernommen werden, sofern eine Person Symptome gemäss der BAG-Liste hat. Das BAG empfiehlt einerseits, auch bei leichten Symptomen zu testen, aber ohne Symptome sei ein Test nur im Ausnahmefall angezeigt. Wie hat sich das bei den Testzentren ausgewirkt?

Aris Exadaktylos: Die BAG-Kriterien sind natürlich recht weit auslegbar. Die niederschwelligen gratis Tests sind sehr gut gemeint, haben sicher auch ihren Sinn, aber der Bundesrat hat uns Notfallstationen damit überrumpelt. Der Entscheid war etwas aus der Hüfte geschossen. Wir mussten die letzten Tage in fast allen Schweizer Notfallstationen regelrechte Feuerwehrübungen durchführen, um bereit zu sein.

«Sind nicht die Symptom-Polizei»

Nau.ch: Was heisst das konkret? Konnten Sie nicht diejenigen abweisen, die aus purem Interesse oder auf Aufforderung des Arbeitgebers hin nach einem Test gefragt haben?

Triage Coronavirus Inselspital
Der Eingang zur Covid-Triage im Inselspital, fotografiert während der Coronavirus-Pandemie, am Dienstag, 17. März 2020 in Bern. - Keystoe

Aris Exadaktylos: Am universitären Notfallzentrum des Inselspitals mussten wir zum Beispiel aus dem Normalbetrieb Personal abziehen, um die Patienten, die schon morgens früh vor der Türe standen, alle testen zu können. Es ist weiterhin nicht allen Menschen klar, für wen der Test umsonst ist und für wen nicht. Aber wir sind nicht die Symptom-Polizei und schicken deshalb auch niemanden weg, sondern testen trotzdem.

Weitere Testwelle absehbar

Nau.ch: Die Anzahl Tests pro Woche ist mittlerweile gar höher als zu Beginn der Corona-Krise in der Schweiz. Wird sich das aber nicht bald einpendeln, sowohl bei den Tests wie auch bei der Belastung des medizinischen Personals?

Aris Exadaktylos: Der Gipfel ist noch nicht erreicht. Wir gehen davon aus, dass die Zahlen in den nächsten Wochen noch weiter steigen werden. Spätestens im August, nach der Rückkehr aus den Ferien, dem Wiederbeginn der Schule, wird es noch einmal eine starke Testwelle geben. Das ist natürlich eine grosse Belastung für niedergelassene Ärzte und die Spitäler.

Nau.ch: Aber die Situation ist grundsätzlich zu bewältigen oder kommen Sie langsam ans Limit?

Aris Exadaktylos: Viele solche Feuerwehrübungen können die Schweizer Notfallstationen nicht stemmen. Wir haben Wochen und Monate lang sehr viel geleistet und es wäre wünschenswert, frühzeitig einbezogen zu werden.

Coronavirus Tests Schweiz
Die Anzahl Tests in der Schweiz liegt derzeit höher als zu Beginn der Corona-Krise Mitte März. - BAG / Nau.ch

Nau.ch: Wir hören von Testwilligen, die mehrere Stunden anstehen mussten, bis sie getestet werden konnten. Wie hoch ist das Testvolumen derzeit am Inselspital?

Aris Exadaktylos: Wir testen im Moment circa 100 Patienten am Tag. Natürlich versuchen wir die Wartezeit so gering wie möglich zu halten, aber das ist ein grosser Aufwand. Gleichzeitig betreuten wir 120 bis 150 andere Notfälle. Natürlich sind die Abstriche viel weniger kompliziert, aber sie brauchen halt doch Betreuung. Die Patienten kommen auch mit einer anderen Erwartungshaltung als in einem Drive-in.

Drive-in Testcenter wären effizienter

Nau.ch: Man erwartet einen besseren Service, als wenn man lediglich durchs Autofenster Kontakt hat. Das muss ja nicht heissen, dass das falsch ist.

Aris Exadaktylos: Die Herausforderung ist folgende: Im Drive-in, auch wenn sie krank sind – also Husten, Fieber oder Asthma-Symptome haben, ist es immer noch ein ambulantes Testzentrum. Sie wissen, Sie fahren hin, werden abgestrichen und that’s it. Gegebenenfalls gehen sich dann nachher zum Arzt. Bei uns haben die Patienten schon das Gefühl, ‹ich bin beim Arzt›. Zehn bis zwanzig Prozent haben tatsächlich zusätzliche ärztliche Hilfe nötig. Die können wir nicht einfach heimschicken, sondern müssen uns um sie kümmern. Das macht die Behandlung im Spitalumfeld deutlich komplizierter und deutlich aufwändiger. Bei uns heisst das: Ein Arzt, ein Unterassistenzarzt und eine Pflegekraft.

Drive-in Corona-Test Bern
Das Coronavirus Drive-In Testzentrum auf dem BernExpo-Gelände in Bern, am Donnerstag, 2. April 2020. - Keystone

Nau.ch: Aber wohlverstanden: Das funktioniert, die Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt und das Inselspital ist auch nicht der einzige Ort, der die Testpersonen auffangen muss.

Aris Exadaktylos: Im Raum Stadt Bern zum Beispiel gibt es nicht viele Anlaufstellen, wo eine grössere Anzahl von Tests am Stück durchgeführt werden kann. Stellen Sie sich vor, es gibt einen Ausbruch in einem Club. Auf einen Schlag müssen im Rahmen des Contact Tracings hunderte Leute getestet werden – dann wird es eng.

Nau.ch: Also zurück zum Drive-in Testcenter – nur wurden die in Bern, Luzern und andernorts mittlerweile auf Standby zurückgefahren.

Aris Exadaktylos: Es wäre im Sinne der Schweizer Notfallstationen und der Patienten wichtig, dass es mehr konzertierte Aktionen gibt und dass wir Unterstützung bekommen. Wie die dann aussieht – ob kantonal oder von privaten Betreibern organisierte Abstrichzentren – das ist eine andere Frage. Aber der Herbst kommt schneller als wir denken und dann braucht es robuste Lösungen.

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