Geschiedene Eltern sollen je zur Hälfte Kinder betreuen
Eine Mehrheit der Parteien spricht sich für eine Gesetzesänderung aus. Bei den Details, wie die «alternierende Obhut» geprüft werden soll, ist man sich uneinig.

Das Wichtigste in Kürze
- Gerichte sollen bei Scheidungen die «alternierende Obhut» zwingend prüfen.
- Umstritten ist, ob dies auch ganz ohne Antrag eines Elternteils oder Kinds geschehen soll.
- Die SP und Kinderschutz-Organisationen lehnen jedoch beide Varianten ab.
Das Parlament prüft eine Gesetzesänderung im Familienrecht, die es in sich hat: Nach einer Scheidung sollen die Elternteile die Kinder gleich oft betreuen (müssen). Auch gegen den Willen eines Elternteils sollen Gerichte die sogenannte «alternierende Obhut» in jedem Fall prüfen.
Der entsprechende Vorstoss des Walliser Mitte-Nationalrats Sidney Kamerzin stiess in den Kommissionen von National- und Ständerat auf breite Zustimmung. In der Mitte Oktober beendeten Vernehmlassung standen zwei Varianten zur Diskussion. Dabei zeigt sich: Die Parteien haben unterschiedliche Präferenzen – die SP, aber auch Kinderschutz-Organisationen finden dagegen beides gleich schlecht.
Zwei Varianten: Mit und ohne Antrag
Die Variante 1 stützt sich auf den Vorstoss: Die fifty-fifty-Betreuung wird geprüft, «wenn ein Elternteil oder das Kind dies verlangt».

Variante 2 ginge bedeutend weiter: Wenn sich die Eltern nicht über die Betreuung ihres Kindes einigen konnten, wird die abwechselnde Obhut zwingend geprüft. Dies selbst dann, wenn weder ein Elternteil noch das Kind dies beantragt.
Kritik: Mütter trotzdem im Nachteil
Bei der SP warnen insbesondere die SP Frauen in ihrer Stellungnahme: Die hälftige Betreuung von Scheidungskindern dürfe nicht zum Regelfall werden. Sie fordern eine differenzierte, Kindeswohl-zentrierte Abklärungen im Einzelfall: «Die aktuelle Praxis auf Basis des geltenden Gesetzes ist sinnvoll und bewährt.»

Tatsächlich ist die gemeinsame Sorge bereits jetzt im Grundsatz gesetzlich festgelegt. Sie wird von den Gerichten in der Mehrheit der Fälle auch so angewendet. In der Praxis teilten sich aber unter 15 Prozent der Eltern die Obhut mehr oder weniger ausgewogen, kritisiert Nationalrat Kamerzin. Dies per Gesetz herbeizwingen zu wollen, wäre aus Sicht der SP Frauen weder im Sinne der Kinder noch der Mütter.
Denn im Endeffekt werde es oft darauf herauslaufen, dass Frauen weiterhin den Hauptteil der Kinderbetreuung tragen. Wegen der rechtlich verordneten 50-prozentigen Aufteilung werde aber der Betreuungsunterhalt durch die Männer entsprechend gekürzt.

Problematisch sieht die SP auch die Konstellationen mit häuslicher Gewalt oder starken sozialen Machtungleichgewichten. Hier könne alternierende Obhut den Gewaltkreislauf noch verlängern und so das Kindswohl gefährden.
Andere Parteien sehen Kindeswohl gestärkt
Die strengere Variante 2 wird dagegen von SVP und Grünliberalen in ihren Vernehmlassungs-Antworten favorisiert. Die SVP betont, dies schaffe Rechtssicherheit und das Kindeswohl bleibe ja unabhängig davon das massgebliche Kriterium bei einem Entscheid. Die Grünliberalen sehen in der Prüfung ohne jeglichen Antrag der Beteiligten gar eine Stärkung der Interessen des Kindes.
FDP und Grüne sprechen sich für Variante 1 aus, mit einer Prüfung der hälftig aufgeteilten Betreuung nur auf Antrag hin. Damit werde die aktuelle Rechtsprechung konkretisiert, schreiben die Grünen. Dies führt auch die FDP an und betont, die starre Variante 2 berücksichtige nicht die praktische Umsetzbarkeit bei vielen Familien. Sie nennt als Beispiele berufliche Verpflichtungen, die geografische Distanz zwischen den Eltern und die vorhandene Betreuungsinfrastruktur.
Nationalrat Kamerzins eigene Partei schliesslich, die Mitte, hätte am liebsten ein Sowohl-als-auch. Ihr gefällt in Variante 1, dass die abwechselnde Betreuung nicht strikt als «zu gleichen Teilen» definiert wird. Aus Variante 2 würde sie aber gerne übernehmen, dass kein Antrag gestellt werden muss.
Alternierende Obhut: Auch Verbände uneins
Einig sind sich die Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz und das Netzwerk Kinderrechte Schweiz: Sie sehen weder in Variante 1 noch Variante 2 eine Verbesserung. Sie lehnen deshalb beides ab.
Beide Organisationen stossen sich daran, dass eine bestimmte Betreuungsform rechtlich bevorzugt wird. Denn alle Modelle der Kinderbetreuung seien gleichwertig und es müsse der Einzelfall geprüft werden.
Genau umgekehrt sieht dies der Dachverband für gemeinsame Elternschaft GeCoBi: Zahlreiche Studien zeigten, dass die alternierende Obhut in den meisten Fällen die ausgewogenste Art der Wahrnehmung der Elternrollen biete.
GeCoBi empfiehlt Variante 2, um Unkenntnis, falscher Beratung oder anderen Gründen zu begegnen. «Ein Antrag ist nicht erforderlich, da das Pflicht-Recht der Eltern bereits besteht. Elternteil sein ist auch Pflicht.»